Sunday, June 18, 2017

Thomas Lang zu Peter Paul Skrepek 1: „In England und den USA sind die Leute offener für fortschrittliche Musik“


Thomas Lang (photo © Elfi Oberhuber)


Während Österreichs Musiker mit dem musikalisch brillanten Gitarristen und Interessensvertreter PETER PAUL SKREPEK bis heute um eine relevante Präsenz im Radio kämpfen, scheint das internationale Schlagzeug-Genie THOMAS LANG mit den USA das Musikland seiner Träume gefunden zu haben. Anlässlich des Falco-Revivals mit Gast-Interpreten 2008 im Wiener U4 kamen die beiden Falco-Original-Band-Mitglieder zusammen und bespielten auch gleich Peter Paul Skrepeks Neu-Version von Falcos Junge Roemer (zu hören bei der FALCOtribute Band mit Martin Böhm). Am Samstag, den 26.06.2017, wird der in L.A. lebende Thomas Lang nun nach neun Jahren wieder beim Revival des legendären Falco-Donauinselkonzerts 1993 mit von der Band-Partie unter Thomas Rabitschs Bandleading sein, wenn 18 Falco-Nummern von heimischen und internationalen Interpreten gesungen werden.
Wer nicht vorort sein kann, für den gibt es die Möglichkeit der ausschnittweisen Live-Übertragung auf ORF III, 22h45 bis 23h25, dazwischen kann man zum Vergleich auch gleich das Falco-Konzert von 1993 ansehen.
Das Falco-Tribute-Konzert 2017 wird dann komplett am 2. Februar 2018 anlässlich des 20. Todestags von Falco im ORF ausgestrahlt.
Hier nun ein exklusiver Einblick von ELFI OBERHUBER in die persönliche Sicht von Thomas Lang und Peter Paul Skrepek, aus dem Jahr 2008.

Kurzprofil THOMAS LANG (geb. am 5.8.1967 in Stockerau/Niederösterreich, Sternbild: Löwe) gilt als internationaler Schlagzeugstar, der insbesondere innerhalb der Szene große Anerkennung findet. Ab 1999 holte er sich beinahe zehn Jahre lang in einschlägigen Magazinen die Auszeichnung „Bester Schlagzeuger“, und er ziert bis heute deren Cover. Mit fünf Jahren begonnen, entwickelte er sich auf seinem Instrument zu einem emsigen Experimentierer, was er am Wiener Konservatorium (unter anderem Big-Band-Stil-bei Walter Grassmann) professionalisierte. 1990 zog es ihn nach London, danach nach L.A. in den USA. Er arbeitete u.a. mit internationalen Stars wie Tina Turner, Robbie Williams, Victoria Beckham, Nina Hagen, The Commodores, George Michael, Gianna Nannini, Bonnie Tyler, Nik Kershaw, Peter Gabriel und in Österreich mit Falco, dem Vienna Art Orchestra und  der E.A.V.. Daneben realisierte er Solo-Alben, und er schrieb - auch bewandert in Klavier, Bass und Gitarre - für etliche Interpreten Lieder. Thomas Lang ist verheiratet und Vater von Zwillingen.



Peter Paul Skrepeks Big-Band-Version von Falcos Junge Roemer




intimacy-art: Sie beide waren gestern (Anm. Red. Am 22.10.2008) im Studio, um Thomas Langs Schlagzeug-Part von Peter Paul Skrepeks "Junge Roemer"-Version aufzunehmen. Unterscheidet sich diese Neuversion vom Falco-Original?
THOMAS LANG:
Sehr. Sie hat ein bisschen mehr ...
PETER PAUL SKEPEK:
... Töne.
THOMAS LANG:
... Soul. Sie ist langsamer, grooviger, moderner. Insgesamt also mehr „sophisticated“ und gefinkelter als das Original, musikalisch schöner und runder.
intimacy-art:
Was bedeutet das für die Spielweise des Schlagzeugers?
LANG:
Anderes Tempo, anderer Rhythmus, anderer Beat. Es muss mit einer ganz anderen Sensibilität gespielt werden als das Original, das ja sehr gebrettert ist.
intimacy-art:
Warum haben Sie für ausgerechnet diese Falco-Nummer einen "Big-Band-Sound“ gewählt?
SKREPEK:
Erstens ist Junge Roemer eine meiner Falco-Lieblingsnummern, zweitens bin ich immer dafür, möglichst viele Musiker zu beschäftigen, und das kann man am besten in einer Big Band. (lacht)
intimacy-art (lacht):
Wirklich?
SKREPEK:
Ja, wirklich! Ich war immer begeisterter Arrangeur für Streicher und Bläser, weil es eben "viele" sind. Darum heißt es ja auch Streich-"er" und Bläs-"er". Also mehrere und zwar – aus verständlichen Gründen – in männlicher Form ...
intimacy-art:
... eine Antwort, die wir nicht weiter strapazieren wollen ...
LANG
(lacht)
intimacy-art:
Thomas Lang, Sie haben in ihren professionellen Anfängen im Big-Band-Stil Schlagzeug gespielt. Ist Ihnen dieser später noch einmal untergekommen?
LANG:
Ja, beim Vienna Art Orchestra.
intimacy-art:
Hier in Österreich?
LANG:
Ja, und seitdem ich weg bin, ....
(SKREPEK steckt sich zwei Soletti in die Ohren, um Langs Zwillinge zu unterhalten.)
LANG:
... mein Onkel vom Mars! Das isst Du aber jetzt nicht mehr, oder? Mmmmmm.
SKREPEK (isst das Soletti):
Ich habe mir extra die Ohren geputzt, da ich Dich gut hören wollte!
LANG (isst ein Soletti):
In Amerika ist diese Big-Band-Kultur – bis auf jene der Ostküste in New York – verschwunden. Es lassen sich auch schwer Big Bands finden, die überleben können und die so gut sind, sich Aufnahmen leisten zu können. Alle heiligen Zeiten bin ich bei einem Projekt am Rande beteiligt, wie bei den Buddy Rich Memorial Concerts der Buddy Rich Big Band, der ich das letzte Mal aus Zeitgründen aber auch noch absagen musste.



Rock´n´Roll trifft auf Klassik – Immer wieder, aber selten




l: Thomas Lang, r: Peter Paul Skrepek
intimacy-art: Ich kann mich an das "Vienna Symphonic Orchestra Project (V.S.O.P.)" erinnern, wo Sie, Peter Paul Skrepek, mitspielten. Warum war das in den 1980ern gefragt und scheint es heute als eines von vielen Genres auszusterben?
SKREPEK:
Viele Musikausbilder halten bis heute an der Strömung fest, Musikstile miteinander zu verbinden. Zur besseren Befruchtung lässt man auch getrennt voneinander Ausgebildete zusammen musizieren. Nachteiliger Weise können klassische Musiker nicht mehr – wie ursprünglich in der klassischen Musik – improvisieren. Das ging mit der Kanonisierung im Sinne der „Klassik“ verloren. Im „klassischen Jazz“ gibt es diese Tendenz auch. Da darf man dann etwas nicht „so“ spielen. – Eine Haltung, die zum Stillstand führt. Der Versuch, diese beiden Welten zueinander zu führen, ergab damals das Projekt V.S.O.P., wo eine Rockband bzw. ein paar Jazzmusiker mit einer Handvoll symphonischer Musiker spielten. Die Leute waren überrascht: Wie konnten nur diese Großteils „Beamten“, die abends ihren Dienst in der Oper antreten, mit Menschen, die am Hungertuch nagend den Fensterkitt aus den Fugen kratzen – also Jazz- und Rockmusiker – zusammen auf einer Bühne stehen?! – Es ist, ehrlich gesagt, eh kaum möglich. Das symphonische Live-Projekt in Wiener Neustadt mit Hans Hölzel (Anm. Red.: Falco mit dem 78-köpfigen, wiener-neustädtischen J.M. Hauer Konservatorium unter Dirigat von Raoul Herget), das 2008 unter dem Titel Falco-Symphonic restauriert herausgebracht wurde, war das letzte in dieser Richtung (siehe Link).
LANG:
Es gibt diesbezüglich immer wieder interessante Sachen: die Rockband Sky, die Bachs Toccata und Vivaldi spielte. Metallica sowie auch ich mit Bonnie Tyler haben ein Album mit Symphonieorchester gemacht. Allerdings verharmlost so ein Orchester eine schmutzige Rockband zugunsten eines coffee-table-Niveaus. Es wird zugänglicher für eine breitere Masse, eine vielleicht ältere Generation, die ein bisschen Rock´n´Roll in sich hat, sich das aber im richtigen Gewand wünscht.
intimacy-art: Dann halten Sie das für eine Verkaufsstrategie?
LANG: Dafür oder für den Versuch, kreativ-musikalisch ernster genommen zu werden.



Musiksterben dank kommerzieller Radiostationen und Gesetze




intimacy-art: Dann müsste eigentlich jede Radiostation oder jeder Marketer auf diesen Musikstil abfahren. Es ist aber das Gegenteil der Fall. Ist der Grund dafür das in Österreich ausschließlich die Hitparaden-Praxis bedienende Formatradio?
LANG: Der Grund ist jedenfalls das fehlende Air-Play, ob nun im Formatradio oder woanders. Tatsächlich im Aussterben begriffen ist der Jazz. Die diesbezügliche Szene in Amerika ist samt Airplay und Verkaufszahlen im Verhältnis zur Landesgröße winzig. In Europa ist dessen Infrastruktur noch nichtiger. Es gibt keine Jazzsender.
intimacy-art:
Bis auf Polen.
LANG: Eine Ausnahme. Diese zahlen aber wieder wegen der fehlenden Vergütungskontrolle kaum Tantiemen an die Musiker. Genauso die Rockmusik. In Österreich gibt es keinen Rocksender. In Amerika laufen dagegen ganztäglich 150! Die fehlende Präsentationsmöglichkeit in den Medien, die Monopolsituation von Radiostationen oder dem hier in Österreich alles bestimmenden ORF führen zum Genre-Aussterben und verhindern ausgehend von der Gesetzeslage die Möglichkeit von Stationen und Privatsendern, die für musikalische Vielfalt und Alternativen sorgen könnten. Fans können so nicht entscheiden, ob ihnen etwas gefällt oder wofür sie bezahlen wollen. Für Klassik und zeitgenössische Musik eröffnen sich komischerweise, egal, wie schlecht sie ist, immer Aufführungswege.
intimacy-art:
Nachdem in Österreich endlich Privatradios zugelassen wurden, konnte man zunächst nur Radio Energy unterscheiden. Denn weil Ö3 kaum Marktanteile verlor, versuchten alle anderen Privatradios, Ö3 zu kopieren. Das hat ihnen jedoch auch nicht viel gebracht. – Wer sollte aber jetzt die Österreicher spielen? Die Privaten oder der ORF?
SKREPEK:
Da wir hier in Österreich sind, grundsätzlich alle. Eine derartige Diskriminierung ist weder in Italien haltbar, noch in den USA, wo aber auch wieder nur Nordamerikanisches gespielt wird. Alle paar Jahre lässt man dort höchstens britische Invasion eintröpfeln.
LANG:
Ab und zu, ja. Nur in Miami spielen sie vielleicht noch etwas Spanisches.
SKREPEK: Bei uns kommen sogar die Volksmusik und der Schlager hauptsächlich aus Deutschland. Deshalb ist es hier so gefährlich, ein gesetzliches Sprachenreglement zu verlangen, wie etwa die Franzosen mit ihrer französisch-sprachigen Musikquote. Der einzige Prominente, der meines Wissens die symphonische Rockmusik gefördert hat, war Thomas Gottschalk.
LANG:
Ah so?

SKREPEK:
Ja. Er hat sich aber dann in ein überdimensional großes Senf-Glas eintauchen lassen, weil er eine Wette verloren hatte.



Die besseren Musikländer als Österreich



intimacy-art (lacht): Thomas Lang, Sie sind offensichtlich ausgewandert, weil die Chancen für einen Schlagzeuger im Ausland besser sind.
LANG:
Die besseren Chancen gelten wohl für alle möglichen Berufe. In Österreich gibt es eine Obergrenze, ein gewisses Plateau, das man schnell erreicht hat, wenn man kompetent und fleißig ist. In anderen Ländern wie in London, wo ich zuerst lange lebte, und in meiner jetzigen Heimat Amerika, liegen das Plateau und ein mit englischsprachiger Musik potentieller globaler „Erfolg“ aufgrund der Größe der Szene und der Budgets viel, viel höher. Eine Platinplatte in Österreich entspricht 10000 verkauften Stücken. In Amerika wäre das nichts. Ein viel größeres Publikum und mehr fließendes Geld erlauben einem einfach, noch genauer zu arbeiten, sich dabei einen gewissen Luxus leisten zu können, sich mehr Zeit zu nehmen und bessere Leute zu engagieren, um ein interessanteres Produkt zu machen. Mit deutschsprachiger Musik ist man auf den Markt hier beschränkt. Da ich selbst immer von englischsprachiger Musik beeinflusst war, wollte ich von Anfang nur diese machen. Das war der Hauptgrund, warum ich dorthin gegangen bin, wo diese Musik entstanden ist, im Radio und live gespielt wird. Und weil ich international touren wollte. Außerdem hatte ich immer das Gefühl, dass die Leute in England und den USA doch ein bisschen offener in Bezug auf das Vermischen von Musikstilen und bezüglich progressiver Musik sind, die dann auch mit  gesanglicher Verdienstmöglichkeit gespielt wird. Das war ja hier nie der Fall.
Einer seiner Zwillinge kommt gerannt: Hey, watch, what we have found!
LANG: Oh, that´s really dirty.
Zwilling: No, it´s a snail (dt. Schnecke)!
LANG:
Super. Show Mummy, and then, wash your hands!
intimacy: art (lacht) 
LANG: And don´t play with the cat, you get allergic! – Österreich ist landschaftlich sehr schön und lebenswert. Man hat in diesem Sozialstaat ein sehr leichtes Leben, sodass man als Musiker selbst ohne auch nur einen Gig und Job leben kann. In Amerika oder England ist das ganz anders. Man muss wirklich kämpfen. Deshalb sind die Musiker dort einfach irrsinnig gut, weil sie ums Überleben spielen müssen. Da gibt es keine halben Sachen.



Wie frei sind englischsprachige Stars wirklich?



intimacy-art: Aber sind solche Stars wie Williams und Gabriel, mit denen Sie gearbeitet haben, wirklich künstlerisch frei? Mir fällt eigentlich nur das Ausnahme-Phänomen Prince ein, der mit seiner völlig eigenen Musik-Art – eigentlich wie ein Zombie, aber durch die Kontinuität salonfähig gemacht – zu einem Überflieger wurde.
LANG: Das ist genau das, was ich meine. Das Publikum ist offener, die Künstler können Musik machen, die man in anderen Ländern als komplett unkommerziell bezeichnen würde, die dann aber doch gespielt wird, weil sie kreativ und musikalisch wertvoll ist und die Leute emotional anspricht. Robbie Williams kommt mit Take That aus einem ultrakommerziellen Gefüge und betreibt das im Bereich Pop mit gewissem Strickmuster und gezielter Bedürfnisbefriedigung des Publikums bis heute. Er selbst macht aber, was er will. Peter Gabriel dagegen macht immer schon aus seinem tiefsten Inneren kompromisslos progressive Musik. Zuerst mit Genesis und dann mit seinen Solo-Arbeiten. Er bringt viele Stile bis zur Ethno-Musik aus Afrika ein und vermischt sie zu seinem. Seine Musik wird dadurch mehrdimensionaler als jene von Robbie Williams, und ab und zu ist auch ein großer Hit dabei. Jedes Lied von ihm hat etwas Überraschendes und Unkonventionelles. Etwa der Riesenhit Sledgehammer. Das war beim ersten Mal Hören kein gängiger Pop-Song.
intimacy-art:
Und er hatte auch immer ein außergewöhnliches Video dazu.
LANG:
Und Prince (Anm.: gestorben 2016) macht sowieso immer komplett unerwartete Dinge. Sein Erfolg liegt in seiner Unberechenbarkeit. Er machte die größten Hits und dann etwas komplett anderes. Somit ein Künstler mit einer ungemeinen Glaubwürdigkeit. Mit all seinen vielen Phasen, einschließlich seiner Performance und seines Stylings. Jede Platte hat mit der Neuerfindung seiner selbst wieder ein neues Publikum angesprochen. So blieb ihm das Stammpublikum, das Disco-, das Rock-, das Soul-, das Hendrix-, das James Brown-Publikum, etc. kamen hinzu. Darüberhinaus ist er ein fantastischer Songwriter, ein unglaublicher Handwerker. So etwas gibt es hier kaum.
intimacy: art: Wäre es zumindest möglich, dass sich solche Künstler aufgrund der Marktsituation in Österreich entwickeln, oder geht hier nur „Starmania“?
SKREPEK: Nicht nur der Finanzmarkt, sondern der Markt generell versagt. Alle – sogar die größten neoliberalen Wirtschafts ...
Ein Zwilling rennt vorbei, außer Atem: The cat ran away now!
LANG: Mummy is in, there.
Zwilling aufgeregt: I saw the cat. He run away!
SKREPEK lacht.
LANG flüstert: I do want to hear this. Be quiet.
Zwilling aufgeregt: I saw the cat, walking, passed me. (Zeigt vor, wie sie vorbei ging.)
LANG: Can you go to Mummy? We do a little of work.

SKREPEK: Die neoliberale Wirtschaftspolitik, das Management by Chaos, „Alles privat!“, bricht gerade zusammen. Und Thomas´ Erklärungen gelten mittlerweile auch nur noch mit Einschränkungen. Weil jemand, der von Platte zu Platte seine Musik ändert, für einen internationalen Platten-Konzern das Horrorbeispiel ist. So darf man es in dessen Augen gerade nicht machen. Die Konzerne wollen einen Erfolg möglichst wiederholen, und wenn er noch einmal kommt, dann noch einmal. So entstehen die „Robbie Williamse“, die nach drei erfolgreichen Platten plötzlich den Produzenten wechseln, um ganz etwas anderes zu machen. Ein Schritt, der Robbie Williams nicht gedankt worden ist. Der Herr Nelson (Prince) ist wegen seines Nicht-Wiedererkennungseffekts ein Musterbeispiel für jemanden, der sich komplett mit den Plattenfirmen überworfen hat. Der erste, dem das in den USA „gelungen“ ist, war Frank Zappa. Der akzeptierte Marketingchefs, die ihm seine neue Platte vordirigierten, überhaupt nicht. Das ist ja auch absurd, weil dadurch eine Dienstleistung zum Inhalt würde.
intimacy: art:
Probleme gibt es also international. Aber in Österreich sind sie krasser. Wie kann man die österreichische Regierung zur Änderung bewegen?
SKREPEK:
Die österreichische Regierung kann man zu gar nichts zwingen.
intimacy: art: Aber den ORF und die Radiostationen.


l: Thomas Lang, r: Peter Paul Skrepek
SKREPEK: Die ebenso nicht. Weil in Österreich das „Kolonie-der-USA-Phänomen“ zutrifft. Die ganze Ideologie hinter dem Neoliberalismus wurde importiert und die letzten Jahre bis zum jetzigen Kollaps verwirklicht. Einige Leute sind sehr reich geworden, andere haben nichts. Beim Künstlerunterricht im AMS unterrichtete ich zum Beispiel, „wie schreibe ich eine Honorarnote?“, was ja viele nicht wissen, weil es für Musiker keine mehr gibt. – Deshalb bin ich auch so für Big Bands. – Die Tendenz hat sich also auch hier breit gemacht, dass man nach einer gewissen Zeit nichts mehr für sein Werk bekommt. Sogar der Österreichische Gewerkschaftsbund hat beschlossen, den hunderttägigen Berufsschutz aufzuheben. D.h., du bist irgendwann – vielleicht an einem Theater – angestellt. Dann verlierst du den Arbeitsvertrag und hast hundert Tage Zeit, woanders angestellt  zu werden. Wenn nicht, wird der Künstler als Kassier oder Regalbetreuer beim Billa vermittelt. Die rutschen zwar nicht ganz ins Nichts, die berufliche Karriere jedoch ist kaputt. Die einzige Lösung liegt daher in der „relevanten Präsentationsmöglichkeit “.



Die Quotendebatte mit dem Vorbild Italien



intimacy: art: Was für ein Argument bräuchte denn eine Regierung, um heimische Musik in den Rundfunkanstalten zur Pflicht zu machen?
SKREPEK: Möglicherweise die „relevante volkswirtschaftliche Größe“. Verdoppelte man den Anteil der österreichischen Musik – also von Leuten, die hier leben, wozu auch Thomas Lang trotz seines hauptsächlichen Lebens in den USA zählen würde, – von derzeit 15 auf – eines zivilisierten Kulturlandes würdig – 30 Prozent, dann könnte Österreich eine Milliarde Euro mehr an Wertschöpfung lukrieren. Die wirtschaftlich Geschickten machen es zum Beispiel so: Aus Italien kommen nach Österreich kaum Tantiemen. Nicht nur, weil die Italiener bis auf Falco und Udo Jürgens nichts von uns spielen, sondern auch, weil sie sich die komplizierten Abrechnungen nach Österreich nicht antun wollen. Nach den USA gehen hundert Millionen, zurück kommt eine Million. Also lauter Einbahnstraßen. So wird die Szene durch Marktversagen zusätzlich stranguliert, wo sie eh schon am letzten Loch pfeift. Die Politiker und –innen haben tragischer Weise nichts begriffen. Und den Wählern ist nicht mehr bewusst, dass es bei uns auch etwas gibt. Die wirklich großen Künstler haben sich irgendwohin verabschiedet oder sind gestorben. In Österreich bleiben die über, die ankämpfen gegen eine Masse von Ignoranz. Es ist schlicht dumm anzunehmen, dass in einem Land, das große Musikerpersönlichkeiten hervor gebracht hat, auf einmal nichts mehr gehen soll.
intimacy: art: Ich habe kürzlich den italienischen Regisseur Gianni Zanasi (Film "Non Pensarci") interviewt. Er sagt, die Quote, die im Bereich italienischer Film und italienische Musik in Italien Pflicht ist, werde etwa von der RAI hinsichtlich des Spielens italienischer Filme unterlaufen. Ein Skandal, über den sich aber weder die Politiker, noch die Leute aufregen würden. Nachweislich wird jedoch italienische Musik in italienischen Filmen verwendet. Spielen die Italiener ihre Musik auch im Radio?
LANG: Absolut. In Italien ist das überhaupt kein Problem. Dort bekommen die italienischen Musiker, mit denen ich spiele, wirklich viel Air-Play. Sie verkaufen viele Platten und sind sehr erfolgreich. Tatsächlich gibt es dort nur einen Sender, der ausschließlich internationale Musik spielt, das ist neuerdings Virgin Music, das nach dem üblichen englischen Rock-Pop-Strickmuster funktioniert. Alle anderen Sender spielen hauptsächlich italienische Musik. Die Italiener stehen auf eine Art von Musik, die sehr leidenschaftlich und schmalzig ist, und sie werden von den italienischen Künstlern diesbezüglich gut bedient. Dort ist – als einziges der wenigen Länder – die Radiowelt eines sehr traditionellen Publikums mit gewissem Bedürfnis noch in Ordnung. Die englischsprachige Musik kommt bei den dort nicht englisch sprechenden Leuten so schlecht an, dass auch die Verkaufszahlen dementsprechend sind. Künstler wie die Foo Fighters, die in Amerika ultraerfolgreich sind, verkaufen in Italien nichts, während Gianna Nannini zehnmal von jeder Platte Platin verkauft.

intimacy: art: Hielten Sie als Außenstehender eine Quote für empfehlenswert?
LANG:
Natürlich.



Verhandlung mit dem ORF bezüglich der Quote



intimacy: art: Wie ist diesbezüglich der Stand der Dinge bei der SOS-Musikland-Initiative?
SKREPEK: Offizielle Lesart: Es läuft alles toll. Inoffizielle Lesart: Es läuft alles schief. Das italienische Beispiel ist deshalb so interessant, weil es dort vor 20 bis 30 Jahren genau denselben Versuch gegeben hat. Durch ein geschicktes Reglement des Markts hat die italienische Regierung erwirkt, dass bevorzugt italienische Musikgruppen live aufgetreten sind. Für ausländische Musikgruppen war es indessen sehr schwer, aufzutreten. – Das könnte man jetzt auch kritisieren. Die Franzosen haben die Amerikaner nach dem Krieg hochkantig rausgeschmissen, was vor ein paar Jahren darin gipfelte, dass ein Bauernrechtler eine McDonald’s-Filiale kurz und klein geschlagen hat, weil man sich als Kulturnation so einen Fraß nicht antun wollte. In Österreich scheint so eine Regelung unmöglich zu sein. Deshalb fällt mir nur eine Lösung ein: Man sagt einem Politiker, er solle in Hinblick auf lukrative Vorteile dafür sorgen, dass die österreichische Musik in den Medien angemessen vorkommen muss, also nicht mit 5 oder 10 Prozent, sondern zur „Hälfte“. Dann wird die Antwort kommen, „als EU-Mitglied dürfen wir die Ausländer nicht diskriminieren“. – D.h., man darf sie schon diskriminieren, aber nur wenn man ein Italiener, ein Franzose oder ein Engländer ist. Wenn man Deutscher, Schweizer oder Österreicher ist, darf man es nicht. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Deshalb kommt nur eine behutsame Regelung der sukzessiven Anteilssteigerung infrage. Leuchtet das den verantwortlichen Entscheidern nicht ein, müsste man ihnen unterstellen, zu dumm zu sein, um zu erkennen, was derzeit und künftig dem Wirtschaftsstandort und der Kulturlandschaft Österreich entgeht. Oder aber, sie würden dafür bezahlt, eine gegenteilige Politik zu betreiben.
intimacy: art: Haben Sie das Gefühl, der ORF stellt sich quer?
SKREPEK: Inmitten der Verhandlungen darf ich dazu leider nichts Näheres sagen.
intimacy: art: Ich weiß hinsichtlich des ORFs nur, dass er bezüglich der Werbezeitenvermarktung, wodurch er sich neben den Gebühren zur Hälfte finanziert, von zwei Mediaagentur-Gruppen und deren fixen Jahresbuchungen abhängig ist. Das Argument des Langzeit-Chefs der Billing-stärksten Agentur MediaCom, Peter Lammerhuber (Anm. bis 2007, danach CEO GroupM Austria), dessen gleichgesinner Nachfolger Joachim Feher (Anm. bis 2017, jetzt GF des Privatradio-Vermarkters (!) RMS Austria) ist, war schon während der Einführungsdebatte von Privatfernsehen im Medienalbanien „Österreich“ der Meinung, dass der ORF auf keinen Fall seinen Marktanteil von 54% verlieren dürfe, weil nur dann die großen Weltketten, sprich Networks, Werbung schalten würden. Mittlerweile vertritt er die Position, dass sich der ORF auf die öffentlich-rechtliche Funktion zurückbesinnen muss, um überhaupt noch Marktanteile zu halten. Es muss also auch eine Verteilung des vorhandenen Werbeaufkommens auf viele kleinere Sender und Plattformen möglich sein. Die Media Austria, die zweitgrößte Mediaagentur (unter Paul Schauer bis 2012), war immer schon überzeugt, dass sich nur österreichische Inhalte verkaufen lassen. – Haben Sie das Gefühl, dass die Chefverhandler des ORF bezüglich des sich verschiebenden Markts umfassend informiert sind oder grassiert eine unsachliche Angst mit Vorurteilen?
SKREPEK: Ich glaube nicht, dass die Entscheidungsträger im ORF genau über die Marktveränderungen informiert sind. Als absoluter Verfechter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks halte ich wenig von einer privaten Einfalt wie jetzt, wo überall dasselbe gesendet wird. Es gibt nur einen Sender in Österreich, der seit einem Jahr (ab 2007) Soulmusik sendet, der Rest spielt Plastik-, sprich Computermusik, und Amateurhaftes, wo Leute versuchen, mit ihrem Instrument zurande zu kommen. Die Geld-in-Kanäle-Verschieber müssten den verantwortlichen Leuten sagen, dass man mit diesem Programm kein Publikum mehr bekommt. Weil sie sonst so weiter machen, bis zum letzten Zuschauer.

 

* Anm. Red.
Entwicklung der Quotendebatte seit den SOS-Musikverhandlungen 2008 bis 2016:
Im Dezember 2009 wurde mit dem ORF eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Sendung heimischer Musik vereinbart: eine Steigerung auf 30 Prozent in der Gesamtheit aller Radioprogramme bis 2011. Für Ö3 und Radio Wien wurde eine Steigerung pro Jahr um mindestens 2 Prozentpunkte zugesichert. Beide Zusagen wurden vom ORF nach eigenen Angaben (Interpreten-Anteile) bis 2014 nicht erfüllt: Ö3 sank von 11,6 Prozent (2008) auf 9,9 Prozent (2014), Radio Wien stieg von 5,3 Prozent (2008) auf 9,3 Prozent (2014).

Im Juni 2015 garantierte ORF-Generaldirektor Wrabetz neuerlich eine dauerhafte Steigerung bei Ö3 auf maximal 15 Prozent und bei Radio Wien auf 11 Prozent. Diese Werte wurden 2016 verfehlt und 2017 erstmals erreicht. Auch alle anderen ORF-Radios verzeichneten leichte Steigerungen. Die Forderung der Musikschaffenden lautet jedoch gemäß dem Europa-Durchschnitt 40 Prozent (siehe Musikergilde-Link1, Link2 plus Grafik).



l: Thomas Lang, r: Peter Paul Skrepek (photos © Elfi Oberhuber)
Lesen Sie in Teil 2, demnächst auf dieser Site: Wie lautet die Vision von einem idealen Musikmarkt für Thomas Lang und Peter Paul Skrepek? Wann war der Zeitpunkt, als sie ihre Soloprojekte realisierten, und wie sehr steckt der „Österreicher“ in ihnen, an dem es festzuhalten gilt?
 

Tuesday, October 23, 2007

Kuba Kapsa 2: "Als polnischer Künstler hege ich die Bescheidenheit der Zufriedenheit"


Kuba Kapsa + Band CNQ (photos © Elfi Oberhuber)


Zweiter Teil des Gesprächs von ELFI OBERHUBER mit dem jungen polnischen Musiker KUBA KAPSA, Leader der Jazz-Rockband CONTEMPORARY NOISE QUINTET. Nachdem seit 22. Oktober 2007 fest steht, dass mit dem europafreundlichen Kandidaten der rechtsliberalen oppositionellen Bürgerplattform, Donald Tusk, ein neuer Premierminister regieren und der Bisherige, Jaroslaw Kaczynski, in die Opposition gehen wird, mag sich der weltweite Ruf des streitlustigen Polens verbessern. - Zu bisherigen Debatten scroll down! - Nichtsdestotrotz scheinen die Bedingungen des arbeitsamen und künstlerisch wagemutigen, polnischen Jungvolkes anregend zu sein. Schätzungsweise ist das aber auch so, weil diese Menschen noch fähig sind zu empfinden ...



Die Polen, die einfach nur gute Musik hören wollen

intimacy-art: Sie sind mit dem "Contemporary Noise Quintet" nach Ihrer Rock-Band "Something Like Elvis" viel Jazz-lastiger geworden. Wie kam das?
KAPSA: Das ist eine natürliche Entwicklung. Mit 17 lebst du den Punk-Rock, auch als Mensch, während du Jazz noch nicht verstehen kannst. Jazz braucht Zeit, eine gewisse Reife.
intimacy-art: Viele Bands spielen aber ihr Leben lang Pop-Rock. So natürlich kann das also nicht sein.
KAPSA: Doch, diese sind nur unnatürlich stecken geblieben.
intimacy-art: Wobei die individuelle Jazzqualität bei CNQ aber noch immer der expressiv gespielte Punk-Faktor bringt.
KAPSA: Stimmt. Something Like Elvis war allerdings so sehr eine Punk-Band, wie CNQ jetzt eine Jazz-Band "ist". Punk und Jazz sind Richtungen, von denen man ausscheren kann. Eines ist aber sicher: Rock gibt mir nach wie vor das Gefühl, mich selbst auszudrücken. Unser Jazz-Rock ist außerdem viel komponierter als frei improvisierter Jazz. Und doch könnte er noch improvisierter werden.
intimacy-art: Steuern Sie Ihre Musik bewußt in die internationale Klangdimension, um die Welt zu erobern? Trotz Jazz, der tendenziell eine kleinere Zielgruppe erreicht?
KAPSA: Ach. In so strategischen Kategorien denke ich nicht. Ich mache keine Musik nach einem spezifischen Bandkonzept, sondern spiele einfach nur das, was mir wirklich gefällt.
intimacy-art: Aber vom Markt her...
KAPSA: Ja, der Markt...
intimacy-art: Jazz spricht doch ein ganz anderes Publikum an, als jenes, das Sie zuvor hatten. Sie müssen sich praktisch von Null ein Neues aufbauen.
KAPSA: Es ist nicht komplett anders. Und in Polen wollen die Leute einfach nur gute Musik hören. Egal, ob es nun Rock, Punk oder Jazz ist. Ist sie gut, kommt sie an.
intimacy-art: Wozu sicher auch Polens Jazz-Radio-Sender beiträgt, was ja eine Seltenheit ist.
KAPSA: Da waren wir 2006 mit Pig Inside The Gentleman auch die am häufigsten gespielte CD nach dem Tomasz Stanko Quartet. Ein sehr großer Erfolg für uns!

Künstlerisch auf gleichem Niveau mit westlichen Opinionleadern

intimacy-art: Mir fiel in "Something Like Elvis" außerdem Ihre sehr schöne Stimme auf, die Sie noch im CNQ integrieren könnten. Sie erinnerte mich an Mark Knopfler von den "Dire Straits". Kennen Sie diese Band?
KAPSA: Ja, obwohl das keine Musik ist, die ich mir anhöre.
intimacy-art: Mich wundert, dass Sie, mit Jahrgang 1978, diese Band der frühen 80-er überhaupt kennen. Das verwundert mich zeitlich, aber auch politisch, da Sie sie im Kommunismus mitbekommen haben müssen. Der musikalische Stil und Geschmack in Polen scheint im Vergleich mit dem Westen ident, damit international up-to-date und auch noch künstlerisch hochwertig zu sein. Ist Polen für Sie dennoch rückständig?
KAPSA: Nein. Wir haben ein großes Kunst-Potential, wovon wir zehren können. Wir waren nie hinten nach. Das konnten wir gar nicht, schon weil sich die Menschheit ständig entwickelt. Und die Kunst wächst mit ihr mit, über jede Politik und zeitliche Grenzen hinaus.
intimacy-art: Auch mit David Lynch, der den Namen Ihrer ersten Gruppe prägte, und Sie im Sound noch immer zu beeinflussen scheint, zeigen Sie, dass sie kunstästhetisch absolut mit dem Westen mithalten, wo Lynch momentan sämtliche tonangebende Künstler von der Oper bis zur Tanzszene inspiriert.
KAPSA: Nicht nur Lynch, alle guten Filme und Regisseure beeinflussen uns. Die Besonderheit Lynchs ist allerdings, dass er Filme als einer der wenigen Regisseure indirekt macht. Er läßt viele Interpretationsmöglichkeiten offen. Deshalb wurde er auch so berühmt.
intimacy-art: Ihr Musiksound ist damit "international" vielschichtig, die Titel der Nummern sind es dagegen gar nicht. "Army Of The Sun", "Goodbye Monster", "Even Cats Dream About Flying", "Pig Inside The Gentleman" - das klingt nach typisch polnisch-eigenartigem, fast kindischem Humor eines Roman Polanski.
KAPSA: Ja, den liebe ich.
intimacy-art: Titel und Sound lassen im Kopf des Zuhörers gleich einen ganzen, grotesken Film abspielen.
KAPSA: Das stimmt. Der Titel ist der Schlüssel zum Sound. Mit dem Schlüssel öffnest du die Türe, um zu sehen, was drinnen ist.
intimacy-art: Für Jazz ist dieser Humor sehr ungewöhnlich, einschließlich des Covers mit dem Schwein, das Ihr gestylter Bruder auf Armen trägt.
KAPSA: Das ist eben das Schwein im Mann (P.I.G. - Pig Inside The Gentleman). Die Musik allein wäre zu ernst. Diese Balance soll etwas Humor einbringen, sodass die Geschichten unter dem Sound lustig werden.

Autodidakten-Aufwind im Gegensatz zu Bürokratie-Akademikern

intimacy-art: Hat die höchste Arbeitslosenrate Europas in Ihrem Heimatland keine Auswirkungen auf die Kunst? - Obwohl die Polen den Ruf haben, sehr arbeitssam und fleißig zu sein.
KAPSA: Wenn sie gut bezahlt werden, arbeiten sie wie die Tiere, ja. Sie brauchen gerade vier Stunden Schlaf pro Tag.
intimacy-art: Das sieht man auch in Ihrer Ernsthaftigkeit beim Spielen, alles zu geben.
KAPSA: Nur so kannst du Musik machen. Du glaubst daran, so ehrlich, wie du nur kannst. Dann funktioniert sie auch.
intimacy-art: Wie kann man sich das praktisch vorstellen: Treffen Sie einander die ganze Zeit?
KAPSA: Nein, nur einmal die Woche zu den Proben.
intimacy-art: Sind Sie alle Autodidakten?
KAPSA: Die meisten.
intimacy-art: Kommt dieses hohe Niveau von einer prinzipiell gut etablierten Musik-Community?
KAPSA: Nein, nur vom Talent und von der Liebe zur Musik. Ich verstehe Schulen auch nicht. Kurz besuchte ich eine Musikuni, wo ich lernen sollte, was ich schon kannte. Und klassisch komponieren wollte ich sowieso nicht. Die Intuition ist das einzig Wichtige, wenn du musizierst. Nehme ich in meinem Studio Musiker auf, die Klassik wiedergeben, halte ich das in der Regel für beklagenswert akademisch. Sie können sich Musik gar nicht mehr anders vorstellen, als wie sie ihnen beigebracht wurde. Für sie zählen nur Kompositionsvorlagen, Noten, musterhaftes Tempo, Artikulation. Die Musik berühren sie nicht einmal. Das ist das große Problem für ausgebildete Musiker. Nur einer sehr starken Persönlichkeit kann die Schule nützen. Meistens züchtet sie eintönige Beamtenmusiker heran.
intimacy-art: Der akademisch am Fagott ausgebildete, polnische Musiker Krzysztof Dobrek, emigrierte hingegen nach einem Orchesterjob in Polen nach Österreich und wurde mit dem privat erlernten Akkordeon zum Worldmusik-Star der freien Szene. Das heißt, dass es an den altmodischen Klassik-Institutionen liegen muss, warum diese Musiker zu "Beamten" werden.
KAPSA: Kürzlich spielte ich einem sehr professionellen Pianisten unsere CD P.I.G. vor und sagte zu ihm: "Was ich am Piano mache, ist zwar echt simpel, ich halte Einfachheit in der Musik aber für sehr wichtig." Worauf er sagte: "Es geht nicht um Einfachheit bzw. um was oder wie du spielst, sondern darum, ob Du Deine eigene Sprache hast." Leute, die Tonnen von Büchern lesen und jene dann als Schreiber kopieren, können sich noch so abmühen, sie werden niemandem auffallen...

Europa, nicht Amerika, als Polens Leitbild

intimacy-art: Ist Amerika für Sie artistisch und ökonomisch gesehen das Leitbild aller Länder?
KAPSA: Würde ich nicht sagen. Die USA waren international gesehen überhaupt nie führend in Sachen Kunst. Obwohl es (=Privatiers) viel Geld für Kunst ausgibt. Europa bietet mit all den verschiedenen Ländern mehr kulturelle Vielfalt und scheint sie auch zu behalten. Dehalb erscheint mir europäische Kunst interessanter, angefangen von den weitläufigen Galerien bis zur Performance-Art. Die US-Staaten produzieren dagegen alle dasselbe.
intimacy-art: Es heißt aber, Polen orientiere sich heute sehr an den USA. Vor allem politisch.
KAPSA: Wir sind in Polen 40 Mio Menschen, und in Amerika leben 10 Millionen Polen. Deshalb sind wir mit diesem Kontinent sehr verbunden.
intimacy-art: Begegnen Ihnen manche Länder und Konzerthausbetreiber unfreundlich, wenn sie Sie als Polen erkennen?
KAPSA: Nein, in unserer alternativen Szene spielen Nationalitäten keine Rolle.
intimacy-art: Indem Sie also nun den Kommunismus, dann den Kapitalismus und die Demokratie durchlaufen sind - welches politische Modell halten Sie für die beste Basis für die Kunst?
KAPSA: Ich weiß nicht, ob Kunst wirklich so stark mit der Politik verbunden ist. Ich glaube prinzipiell: wir sollten alle frei sein, liberales Denken ist die beste Basis für das Kunstschaffen.
intimacy-art: Denken Sie, dass Sie das jetzt leben?
KAPSA: Ja, wahrscheinlich weil ich die Politik nie so nah an mich heran lasse und ließ.
intimacy-art: Sind die von Politikern begrifflich oft floskelhaft angesprochenen staatlichen "Rahmenbedingungen" nicht tatsächlich dafür verantwortlich, wenn die Dinge nicht weiter zu bringen sind?
KAPSA: Nun, in unserem Fall bin ich ziemlich zufrieden. Natürlich könnte es immer besser gehen. Ich könnte mehr Geld gebrauchen, um bessere Mikrofone, Computer, ein besseres Auto verwenden zu können. Unterm Strich läuft es aber gut. Mit 15 hatte ich gar kein Geld, nur meine Bassgitarre mit kleinem Verstärker, und war damit total glücklich.
intimacy-art: Mußten Sie sich nie mit dem Zukunftsaspekt herum schlagen, vielleicht kein Musiker werden zu können und einen bürgerlichen Beruf ausüben zu müssen?
KAPSA: Mit 15 wußte ich nicht, was ich einmal werden sollte. Musik war einfach nur meine größte Freude. Auch für meinen Bruder, mit dem ich von Beginn an musizierte, sodass wir heute als gutes Team dasselbe musikalische Gefühl haben. Dann kam langsam der Berufswunsch des Musikers hinzu. Meine Eltern stellten sich dem nicht entgegen. Sie gaben mir sogar die zwei großen Ölbilder unseres Hauses für eine neue Tonanlage. Sie sagten, "o.k., verkauf sie einfach! Wir mögen sie eh nicht". Dieser Rückhalt hatte den Effekt, dass ich heute eine ganze CD alleine aufnehmen könnte, während ich diverse Gitarren, Bass, verschiedene Piano- und String-Arten spiele ...


(Interview-Auszug vom 01.05.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

Sunday, August 12, 2007

Kuba Kapsa 1: "Polens Korruption bewirkt als Obsession die Korruptionsbekämpfung"


Kuba Kapsa (photos © Elfi Oberhuber)

Polen gilt derzeit als Szene, wo sich irrsinnig viel tut. Trotz oder gerade wegen der widersprüchlichen Regierung wird hier Kunst inhaltlich, und damit "als gesellschaftlich wichtig" diskutiert. Sie hat für viele junge Leute existenzielle Bedeutung. Gebeutelt durch Kommunismus, Armut und Arbeitslosigkeit (bzw. unterbezahlte Schwarzarbeit, weshalb die Polen meist vier Jobs parallel ausüben), Katholizismus, Kapitalismus, schwanken aufstrebende Jungkünstler zwischen Hingabe zu klassisch-elegantem Stil und grotesker Satire, wobei immer auch filmisches Bewußtsein zu spüren ist. Bestes Beispiel dafür stellt die neuartige Jazz-Rock-Band Contemporary Noise Quintet dar, deren Leader KUBA KAPSA ist. ELFI OBERHUBER traf ihn zum Gespräch.

Kurzprofil KUBA KAPSA (geb. am 12.10.1978 bei Poznan/Polen, Sternbild Waage) steht auf energetischen Jazz mit Elementen aus Filmmusik. So klingt auch seine junge Jazz-Rock-Band Contemporary Noise Quintet, die 2006 ihre erste CD Pig Inside The Gentleman heraus brachte. Der junge Musiker, der die unterschiedlichen Instrumente Gitarre und Piano - beide in mehreren Abwandlungen von Bass über Melodica bis Syntheziser - spielt, ist als autodidaktischer Musiker schon lange im Geschäft. Zuvor war er seit 1994 Leader der Emo-Hardcore Band Something Like Elvis (Titel aus dem David-Lynch-Film Wild at Heart), wo er mit anregend-tiefer Rockstimme zusätzlich sang. In seinen Bands mit dabei ist am Schlagzeug stets sein um ein Jahr älterer Bruder Bartek Kapsa. In der Alternative-Szene tourten sie bereits durch Europa und Amerika. Nachdem CNQ in Polen das Tomasz Stanko Quartet vom Rang 1 verdrängt hat, will die Band nun auch die europäische, asiatische und amerikanische Jazzszene überzeugen. Absolute, akademisch ausgebildete Profis wie Trompeter Wojtek Jahna und Saxophonist Tomek Glazik spielen hier einen gänzlich anderen Stil als in ihrer Zweitband Sing, Sing Penelope. Die treibenden Musikrhythmiker sind jedoch die Kapsa-Brüder selbst. "Eleganz mit Punk-Energie", "Jazz-Musik ohne Jazz", "Filmmusik ohne Film, aber etwas Glänzendes" sind einige der begeisterten Kommentare der Presse. Die Site der Band: www.electriceye.pl

Warum Rock-Jazz momentan so in und wie Contemporary Noise Quintet dabei einzuordnen ist, können Sie auf intimacy: art in WATCHER (TIPPS) unter dem Titel nachlesen: "AUFFÄLLIGE TRENDS NACH BALKAN-, POLEN- & KLEZMER-FESTIVAL: ROCK & EGO-STIL"

Für Hörproben der Titel Sophie, P.I.G., Army Of The Sun und Goodbye Monster click: http://www.myspace.com/cnquintet


Polen als "Entwicklungsstreber" mit und ohne EU

intimacy-art: Die Welt interessiert sich momentan sehr für Polen. Als großes Land mit einer großen kaufwilligen Jugend, an dem die Weltwirtschaft verdienen kann. Sie waren für ein Konzert gerade als eine von mehreren polnischen Gruppen, organisiert vom Polnischen Instititut, in Wien. Haben Sie das Gefühl, dass das politisch motiviert war?
KUBA KAPSA: Sagen wir besser gleich: ich würde einen anderen Weg vorziehen, um nach Österreich kommen zu können. Ich lasse mich nicht gerne politisch benutzen. Das ist nicht meine Welt, sondern die Musik. Ich möchte nur der Kunst als soziale Notwendigkeit dienen.
intimacy-art: Sie gaben das Konzert ungewöhnlicherweise in der roten Bar im Wiener Volkstheater, auf einer zu ihrer Musik ziemlich unpassenden, roten Mini-Guckkastenbühne. Sind das ideale Bedingungen für Sie?
KAPSA: Manchmal sind die Umstände großartig, das Konzert wird dennoch mühsam; manchmal siehst du, die Umstände sind einfach schrecklich, und das Konzert läuft dennoch wie geschmiert. Dass es gestern unbefriedigend verlief, lag am Soundtechniker, der vielleicht gewöhnlich eher fürs Theater als für Bands arbeitet.
intimacy-art: Ihr Piano, das normalerweise im Vordergrund und treibend ist, war zu wenig präsent und dadurch um das Außergewöhnliche Ihrer Musik beraubt. Vielleicht bekommen Sie also das nächste Mal, trotz außenpolitisch organisierten Konzerts, einen geeigneteren Aufführungsort. - Glauben Sie, Ihre Einladung nach Österreich hat mit der Europäischen Union zu tun, wozu Polen seit 2004 gehört?
KAPSA: Wir Polen würden sicher auch ohne EU wichtiger für die Welt werden, wirtschaftlich und sozial. Der EU-Beitritt beschleunigt den Prozeß nur, Markt und Geld auf einen Boden stellen zu können, er bringt daher viele Vorteile. Vor allem der Austausch scheint wichtig und großartig zu verlaufen, sodass mehr Geld für Kunst und andere Fortschrittsbewegungen vorhanden ist. Viele Wege haben sich für uns jetzt geöffnet, um unsere Mentalität zu entwickeln, unser Denken, unser Studium. Ich denke aber weder global, noch national, im Sinne von, "unsere Kultur nur für uns allein konservieren zu wollen oder uns nicht zu assimilieren". Solche Extreme halte ich für schlecht.

Künstlergruppen-Förderung von Polen und EU

intimacy-art: Hilft die EU Künstlern wie Ihnen direkt?
KAPSA: Ja, wir bekommen Geld vom Staat, um unser Studio zu entwickeln.
intimacy-art: Von der EU oder von Polen?
KAPSA: Von der polnischen Regierung, die aber mit der EU verbunden ist. Ein Teil des Geldes ist von der EU, ein Teil von der polnischen Regierung. Wären wir nicht in der EU, bekämen wir sicher nichts.
intimacy-art: Gibt es einen spürbaren Unterschied gegenüber früheren Zeiten?
KAPSA: Als der Kommunismus zuende ging, war ich 13, also ein kleiner Junge. - Was meinen Sie genau?
intimacy-art: Wann spürten Sie als Künstler so etwas wie Aufwind?
KAPSA: Jetzt fühle ich: es geht voran. Und doch ist es noch nicht perfekt.
intimacy-art: Arbeiten Sie in Warschau?
KAPSA: Nein, im Zentrum Polens, hundert Kilometer von Poznan. Ich lebe in einer Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern. Dort ist es sehr ruhig, sodass ich viel Zeit zum Arbeiten habe. Es ist allerdings richtig, dass alle großen Künstler nach Warschau gehen, wo als Hauptstadt das Geld und die Filme gemacht werden. In große, ziemlich starke Städte wie Poznan, Krakau, Gdansk, wird aber auch viel Geld gepumpt, um den Aufschwung zu forcieren.

Kuba Kapsa (Piano, 3.vr) und Bartek Kapsa (Schlagzeug, 2.vr) umgeben von Wojtek Jachna (Trompete, Flügelhorn), Tomek Glazik (Saxophon), Kamil Pater (Gitarre), Patryk Weclawek (Bass)


Widerspruch zwischen Korruptions- und Aufschwungsland


intimacy-art: Nun hört man ja in der Weltpresse immer von Premierminister Jaroslaw Kaczynski bzw. vom skurrilen Zwillingsbruder-Regierungsphänomen, das er mit Präsident Lech Kaczynski darstellt.
KAPSA: Zwillingsshit, Doubleshit, ja.
intimacy-art: Und gerade deshalb ergibt sich für mich ein Widerspruch. Denn jeder sagt, Polen sei das korrupteste Land der EU - was ja schon am abrupten, unbegründeten Abtritt des vorigen Premierministers Marcinkiewicz zu sehen war ...
KAPSA: Der in seiner Funktion aber auch schon die Marionette Kaczynskis war.
intimacy-art: ... paradoxerweise schafft es Polen jedoch mitsamt umstrittener Regierung, immer mehr an Macht und Stärke in Europa zu gewinnen - was ja führungspolitisch gesehen positiv für das Land ist. Und dabei bringt sie auch noch die polnische Kultur nach Europa und Amerika.
KAPSA: Nun, die Korruption bewirkt als Obsession innerhalb sich selbst die Bekämpfung der Korruption. Unser Justizminister Zbigniew Ziobro ist darin nicht schlecht und vergleichbar mit Rudolph Giuliani in New York. Er glaubt - und ist darin auch erfolgreich -, die Korruption eindämmen zu können. Leider beinhaltet eine Ideologie wie seine aber andererseits die unterentwickelte Einstellung gegenüber Homosexualität und Religion. Diese Politiker und Menschen sind diesbezüglich nicht offen fürs Gespräch.
intimacy-art: Weil sie national-konservativ sind.
KAPSA: Sie sind nicht radikal national-konservativ, aber gemäßigt, ja. Die ältere Generation wählte diese Partei. Die jungen Leute lehnen sie ab. Aber einmal ist die Regierung von links, einmal ist sie von rechts. Das ist halt jetzt die rechte Welle.
intimacy-art: Wie es sich auf der ganzen Welt ständig abwechselt.
KAPSA: Richtig.
intimacy-art: Und diese Welle könnte sich schon bald wieder ändern bzw. noch verschärfen: Denn inzwischen - nach zwei Monaten dieses Gesprächs - wurden Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper, nach einem getürkten Korruptionsvorwurf, sowie der eigene Parteifreund, Innenminister Janusz Kaczmarek, von Kaczynski aus dem Amt entlassen; und da - laut "Der Standard" - der national-klerikale Bildungsminister Roman Giertych Jaroslaw Kaczynskis (!) Befehl verweigerte, Witold Gombrowiczs Roman "Ferdydyrke" auf die Gymnasiasten-Pflichtlektüre zu geben, weil Gombrowicz - im Roman nachvollziehbar - homosexuell (!) war, und jene stattdessen durch Papstbiografien und katholische Lektüre ersetzte, wurden offiziell "wegen Dauerkrise der rechtsnationalen Regierungskoalition" - befürwortet durch die Kaczynskis - für 21. Oktober 2007 Neuwahlen angesetzt.



Lesen Sie in Teil 2 demnächst auf dieser Site: Wie Kuba Kapsa vom Rock plötzlich zum Jazz fand, und warum in Polen beide Richtungen von der Jugend gleich begeistert angenommen werden.

(Interview-Auszug vom 01.05.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)