Tuesday, November 14, 2006

"Die Kurden sind Spielball der Weltpolitik...", Willi Resetarits und Sivan Perwer, Teil 2


photo: Willi Resetarits und Sivan Perwer (© Lukas Beck)

Burgenland-Kroate WILLI RESETARITS und türkischer Kurde SIVAN PERWER sprechen mit ELFI OBERHUBER kurz vor ihrer Konzerttour durch ganz Österreich über die Situation der Kurden in der Weltpolitik. Für Einführung (Teil 1) scroll down.


Kurden - ein Riesenvolk verteilt auf viele Länder


intimacy-art: Sivan Perwer, Sie sind weltweit die Repräsentationsfigur für die kurdische Volksgruppe. Welche Länder umfaßt denn dieses "Kurdistan"?
PERWER: Historisch betrachtet gibt es keine Grenzen, sondern nur den Hunderte von Jahren alten Namen. Grenzen wurden erst mit dem nationalen Bewußtsein ausgehend von Frankreich gesetzt.
intimacy-art: Ah ja, mit der Bürgerrevolution durch Napoleon.
PERWER: Während Österreich Land von Deutschland nahm und umgekehrt, wurde Kurdistan unter vielen Ländern aufgeteilt.
intimacy-art: Ich kenne Kurdistan auch nur als Märchen-Mythos.
PERWER: Kurdistan war also kein Staat, sondern der Überbegriff von Aserbaidschan, Afghanistan, etc.. All jene Länder, wo Kurden lebten, werden im Volksmund aber noch immer Kurdistan genannt. Selbst ohne Grenze.
PERWER (zieht mit dem Finger mit festem Druck eine Grenze auf den Tisch): Verstehen Sie?
intimacy-art: Ja.
PERWER: Im nahen Osten wurden die Grenzen überhaupt erst nach 1920 gezogen. Türkei bekam seinen heutigen Namen samt Grenze erst 1923. Davor hieß es Anatolien, Kurdistan, Pontus, und nicht "Türkei". Ata Türk und die nationalistischen Türken haben dann überlegt, was für einen Namen sie wohl für sich finden sollten? Türk - also Türkei. Türkei ist für Anatolien aber untypisch, es ist nur für Turkmenistan in Mittelasien typisch. Ganz anders wie das sehr alte Kurdistan.
intimacy-art: Sind die Kurden also eher die Perser? Sind Perser und Türken von der Rasse her verschiedener Herkunft?
RESETARITS: Das sind andere Völker, ja.
PERWER: Kurden sind mit Persern verwandt, auch mit Österreichern und Deutschen. Nur von der Sprache her nicht.
intimacy-art: Germanen sollen ja enthalten sein.
PERWER: Indogermanen.
intimacy-art: Inwiefern ist das anders?
PERWER: Kurdisch und persisch unterscheidet sich als indogermanische bzw. indoeuropäische Sprache total vom Arabischen und Türkischen.
intimacy-art: Dennoch klingt für mich Außenstehenden die kurdische Musik ähnlich wie die türkische Musik.
PERWER: Aber Sie haben nach Kurdistan gefragt: Bevor diese Staaten - Irak, Syrien, Iran, Türkei - im Abkommen von arabischen Scheichs mit europäischen Imperialstaaten gegründet wurden, mußten sie die Kurden besiegen, die sie als neue Herrscher dann unterdrückten.
intimacy-art: Das mit den Imperialstaaten entspricht ja auch der westlichen Geschichte.
PERWER: ... Amerika, ja ...
intimacy-art: Wo sind jetzt aber noch Kurden? Wo kämpfen sie um Akzeptanz?
PERWER: In der Ost-Türkei leben 25 Millionen, über 12 Millionen im West-Iran, 6 Millionen in freier Föderation im Nord-Irak, über drei Millionen in Nord-Syrien. Also mehr als 40 Millionen Menschen sind Kurden.
intimacy-art: Sie nennen also alle Gebiete, wo Kurden leben, Kurdistan.
PERWER: Ja, wir Kurden wissen sehr gut, wo Kurdistan ist.

Kurden zwischen West, Ost und Öl

intimacy-art: Wie ist denn das Verhältnis der Kurden zu EU, USA, Israel und Palästinensern?
PERWER: Politisch?
intimacy-art: Ja.
PERWER: Käme die Türkei zur EU, wäre das prinzipiell sehr gut für die Kurden, wie auch für den Nahen Osten. Die Kurden haben sich von Europa immer Einsatz erwartet. Europa handelte den Kurden gegenüber aber immer passiv, und meinte nur, "ja, wenn sich die Regierungen demokratisieren und entgegenkommender verhalten, wird sich das lösen. Kurden, habt Geduld." In Wahrheit suchte Europa aber immer nur die wirtschaftlich vorteilige Verbindung. Deutschland wollte viele Mercedes verkaufen, Schweden viele Volvos, Frankreich Renaults und Peugeots. Amerika meinte indessen, Europa hätte um Kurdistan falsche Grenzen gelegt und wollte sie ändern. Wem kann man also glauben? Europa oder Amerika? Wobei aber Amerika wieder nur das Öl im Auge hat, da 67% des Weltöls vom Nahen Osten kommen, die Amerika kontrollieren möchte. Was Europa nicht geschafft hat, will also jetzt Amerika schaffen. Da geht es um Wirtschaftspolitik.
intimacy-art: Besitzen denn auch Kurden Öl-Land?
PERWER: Ja, 9% des Weltöls kommen aus Kurdistan.
intimacy-art: Es gibt also reiche Scheichs, die Kurden sind?
PERWER: Die Engländer unterstützten einmal einen kurdischen Aufstand in der Türkei, da Türkei nach Kirkuk und Mussel verlangte, wo es Öl gibt. Dann arrangierte sich die Türkei mit England und sagte: "Wir lassen Kirkuk und Mussel, so wie es ist, aber dafür beenden Sie den kurdischen Aufstand." So wurde dieser Aufstand zerstört. Also nicht nur die Türken haben Kurdistan zerstört, sondern auch die Franzosen und Engländer.
RESETARITS: Die Kurden sind daher seit über hundert Jahren Spielball der Weltpolitik, weil sie keine eigene Vertretung haben.
intimacy-art: Stellen Kurden nun definitiv eine potentielle Macht dar, dass man sie immer unterdrückt, oder nicht?
PERWER: Potentiell geht es den Kurden nur um "viel Freiheit". Sie haben nie jemanden ausgebeutet und suchen nur nach Frieden und eigenen Rechten. Vielleicht hilft es jetzt, dass sich Amerika mit den Kurden befreundet ...
intimacy-art: Also doch, und Israel auch?
PERWER: Israel hat immer mit Amerika zu tun und weniger mit Arabern.
intimacy-art: Eben, die sind ja meist verbündet.
PERWER: Israel ist das einzige Land im Nahen Osten, das demokratisch ist, und doch gibt es diese sehr sensible Situation zwischen den Israelis und den Arabern mit ihrer islamischen Tradition und arabischen Mentalität. Die Araber müßten zuerst einmal ihr eigenes Land mit den vielen Staaten entwickeln, ihr eigenes Volk sozialisieren und demokratisieren, anstatt gegen Israel zu kämpfen. Auslöser sind aber nicht nur Araber oder Israel, sondern auch der Westen, der um das Öl im Nahen Osten kämpft. Der Westen entscheidet letztlich immer über den Nahen Osten. Diese Frage könnte daher auch vom Westen gelöst werden, der die hitzigen Ost-Völker aber nur mit Waffen beliefert, anstatt jene zu verweigern. So werden sie einander fertig machen, wobei der Westen Mitschuld trägt. Und in Wahrheit geht es wieder nur um das Öl.

Obwohl Kurden wie Araber Muslime sind: Konflikte

intimacy-art: Hinzu kommt, dass die meisten Kurden Muslime sind. Und innerhalb der Muslime und ihren Strömungen herrschen abermals Konflikte.
PERWER: Für die Kurden sind Religion oder Islam kein Problem. Da passen wir sehr auf. Derlei Konflikte würden sich nachteilig auf unser Vorhaben, ein starkes nationales Bewußtsein, eine Identität zu erlangen, auswirken, was sich 80% der Kurden wünschen.
intimacy-art: Hat man aber als Moslem nicht denn größeren Konflikt mit Christen?
PERWER: Die Kurden haben mit den Christen keinen Konflikt. Und die Muslime an sich haben einen Konflikt anderer Natur, wofür sie von den Kurden keine Hilfe bekommen werden, sprich wegen oder von Kurdischen Muslimen. Wir alle sind Muslime, wie Araber, Perser, Türken auch. O.k., warum haben wir aber dann diese Probleme? Warum beuten sie uns aus? Das ist doch nicht Muslim! Der Islam wird hier nur benutzt, zugunsten der Interessen arabischer Scheichs. Religion hätte hinsichtlich des Menschenrechts eine andere Bedeutung.
intimacy-art: Die Fanatischen sind trotzdem immer die, die sehr religiös sind.
PERWER: Die arabischen Scheichs, die türkischen Generäle bringen bewußt fanatische Gläubige hervor, um konfliktreiche Aktionen zu setzen. Das Volk ist normalerweise nie gegen einander.
intimacy-art: Sind Sie sehr gläubig?
PERWER: Ich bin nicht gläubig, nein. Und 80% der Kurden sind da wie ich. Ich respektiere aber Gläubige, wenn sie gut und ruhig sind. Ich bin nur gegen Fanatismus.


Lesen Sie in Teil 3 des Gesprächs demnächst auf dieser Site: Wie sich nationale Identität und Toleranz in einem selbst und in der Musik vereinen lassen

(Interview-Auszug vom 20.9.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)

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