photo: Willi Resetarits und Sivan Perwer (© Lukas Beck)
Burgenland-Kroate WILLI RESETARITS und türkischer Kurde SIVAN PERWER im letzten Teil des Gesprächs mit ELFI OBERHUBER: Was heißt Identität im Vergleich zur Kurdenfrage für alle Menschen? Wie wirkt sich das praktisch auf gemeinsames Musizieren aus? Für Einführung (Teil 1,2) scroll down.
Wie wichtig ist echte Nähe im globalen Zeitalter?
intimacy-art: Sucht man - je mehr Menschen aus verschiedenen Kulturen im globalen Zeitalter aufeinander treffen, je unsicherer man dadurch in der Welt verfestigt ist -, umso mehr nach echter Nähe, nach etwas vom eigenen Charakter oder von der eigenen Herkunft im Anderen? Ist das die dilemma-reiche Farce - selbst beim besten Willen an Toleranz - des Globalen?
RESETARITS: Als Ideal glaube ich, dass man in einer toleranten Welt den eigenen Standpunkt braucht, um sich selbst zu definieren. Darüber, was wir Identität nennen. Das ist ganz wichtig, auch für den toleranten Standpunkt.
intimacy-art: Ich denke die Wahrheit liegt im erotischen Gefühl: Vom Fortpflanzungstrieb her ist es doch so, dass der Instinkt das Gleiche sucht. Da funktioniert die Toleranz nicht. Ich kann mich mit Ihnen sehr gut unterhalten, aber ob ich bei Ihnen ein erotisches Gefühl hätte, weiß ich nicht. Fühlen Sie sich also von Gleichem angezogen?
PERWER: Es gibt auf der Welt Menschen in verschiedenster Gestalt geboren. In Asien, Amerika, Afrika, die einen sind schwarz, Sie sind ein bißchen blond oder weiß, aber dafür sind wir alle nicht schuld. Kulturen, Sprachen sind so unterschiedlich wie die Menschengestaltung, und das soll auch so sein, aber nicht mit Unterdrückung und Ausbeutung. Z.Bsp. in Amerika leben Menschen aus verschiedensten Kulturen, Amerika ist eine Supermacht, aber eigentlich gehört es den Indianern.
intimacy-art: Das stimmt schon. Aber es gibt ja ganz schlimme rassistische Theorien. Charles Darwin sprach bei der Fortpflanzung von Struggling for the Best, und dass man sich zwecks Arterhaltung mit dem Gleichen zusammen tut. Jetzt wissen wir, es hat sich schon so viel vermischt, in der Zeitgeschichte, und das ist auch gut, da immer vielfältigere Mischungen herauskommen. Wozu tendieren Sie beide aber im intimen Bereich - ganz ehrlich und persönlich gesagt?
PERWER: Sie sind Österreicherin, ich bin Kurde. Ich respektiere Sie als Mensch. Das müssen wir zunächst akzeptieren. Und falls wir zusammen kommen, kann ich auch ein Österreicher werden. Aber ohne Unterdrückung. Wenn mein Gefühl aber stark und gut ist, so wie ich mich als Kurde fühle, muss ich Kurde bleiben. Es gibt viele Kurden, die in der Türkei zwangsassimiliert sind.
intimacy-art: Haben Sie eine kurdische Frau?
PERWER: Hatte ich.
intimacy-art: Also nicht mehr.
PERWER: Wir sind nicht mehr zusammen, aber noch in großer Freundschaft verbunden.
intimacy-art: Weil mich wirklich der Sprung interessiert, wo jemand ins eigene Leben jemand ganz Fremden zuläßt oder ob er das Eigene sucht.
RESETARITS: Ich kann das nicht generalisieren. Ich denke, dass es, Gott sei dank so ist, dass es jeweils ganz unterschiedlich ausfällt. Ob man sich mehr zum Eigenen oder mehr zum Fremden bzw. zum Anderen hingezogen fühlt.
intimacy-art: Aber Sie haben, glaube ich, eine schöne, große blonde Frau. Sind Sie noch zusammen mit ihr?
RESETARITS: Wir sind nicht mehr zusammen. Sie war aber keine Burgenland-Kroatin. Das ist also nicht der Punkt.
PERWER: Einander gut oder nicht zu verstehen, oder ob etwas hält, ist nicht unbedingt von der Kultur oder Nation abhängig. Das wichtigste ist, den Menschen an sich zu respektieren, um zusammen oder nebeneinander leben zu können. Wenn man das akzeptiert, muß man sich nicht gegenseitig bekämpfen.
Name zwischen Identität, Fremdbestimmtheit und Markenbewußtsein
intimacy-art: Sie heißen normalerweise Ismail Aygün, warum haben Sie Ihren Namen geändert?
PERWER: Mein Name war von Anfang an Sivan. Nur mein Nachname war nicht Perwer, sondern Aygün. Das ist ein türkisches Wort, von Türken vergeben, denn die Kurden dürfen ihren eigenen Nachnamen nicht behalten. Der erste Name kann kurdisch, der Nachname muß arabisch sein.
intimacy-art: Und Sie haben Ihren Namen von Ostbahn Kurti wieder auf Willi Resetarits geändert. War das eine Identitäts- oder eine Markenfrage?
RESETARITS: Der Ostbahn war als wunderbares Projekt vollendet. So konnte ich wieder zu etwas Neuem schreiten. Ostbahn Kurti ist an sich aber ein Künstlername.
intimacy-art: Genau. Und damit wurden Sie zur Marke. Nun wurden Sie zu einer Neuen, doch möglicherweise für nur eine geringe Marktlücke. Denn mittlerweile gibt es schon viele Künstler, die mit dem integrativen Gedanken arbeiten: Das Schauspielhaus, die Worldmusic-an-sich, das Volkstheater, der Ali-G im Fernsehen. Wie schaffen Sie es, Ihre eigene Individualität gegenüber diesen anderen Marken zu verteidigen?
RESETARITS: Also, i glaub net, dass i des verteidigen will und verteidige es auch nicht. Ich glaube, dass man etwas schlecht verwaltet, wenn man es krampfhaft verteidigt. Sollte es nicht übrigbleiben, war es offenbar nicht stark genug. Und da ich mich in dieser Arbeit in positivem Sinne wirklich verliere, wird es sicherlich eigen sein und übrig bleiben.
PERWER: Und spüren die Menschen, das ist richtig, stützt es auch wieder unsere Persönlichkeit und Identität.
intimacy-art: Das schaffen Sie nun, indem Sie Ihre beiden Musikstile durchmischen, ...
RESETARITS: Ja, aber sehr vorsichtig und mit Respekt. Es soll nichts verändert und auch nichts verbessert werden, sondern wir machen einfach gemeinsam Musik. Und langsam verstehen wir uns besser, sodass wir schon mehr miteinander kommunizieren können: musikalisch. Denn grundsätzlich unterscheidet sich die kurdische Musik von der arabischen und der westlichen Musik. Die Skalen, die Vibrationen sind anders, man arbeitet mit Vierteltönen, die wir Westler weder haben, noch hören, wobei wir Angst haben, unsere Halbtöne mit diesen Vierteltönen zusammen zu bringen. Die größten Probleme gab es aber wegen Percussion und westlichem Schlagzeug, das für die kurdische Musik zu mächtig ist. Wir übernehmen daher jetzt den Rhythmus der kurdischen Kollegen, wenn wir in Liedstellen und -übergängen zusammen kommen.
intimacy-art: Interessanterweise sind Sie inhaltlich erst recht von einander verschieden. Sivan Perwer ist der Erzähler von narrativen Geschichten, sei es über Großgrundbesitzer, die sich duellieren, oder von Steppen-Lautmalereien mit Flöten, während Willi Resetarits persönliche, innere Monologe singt, wie etwa "Wann de Musik vuabei is, steht ma ganz alla do". Wie verträgt sich das?
RESETARITS: Ich denke, dass die Musikstücke für sich selbst sprechen und auch die Texte. Es gibt bei uns beiden sehr schöne Liebeslieder, die in ihrer Art sehr verbreitet sind. Im Grunde sind auch Marienlieder vom Text her Liebeslieder. Die meisten Lieder sind daher Liebeslieder.
intimacy-art: Bei Ihnen allein oder bei Ihnen beiden?
RESETARITS: Überall, weltweit und bei uns beiden auch. Aber es gibt natürlich auch konkrete Aussagen, und aufgrund Sivans Herkunft muß auch das Statement für die kurdische Identität kommen, weil es etwas zu erringen gilt. Ich selbst muß da nicht so kämpfen.
intimacy-art: Sie singen etwa: "Leben ist Arbeit und di bringt di um", Zitate von Bruce Springsteen auf Sie selbst ganz persönlich umgemünzt. Das unterschiedliche Maß an Intimität, das man rausläßt, ist bei Ihnen also sehr verschieden: Würden Sie sagen, dass Willi Resetarits auf der Bühne sehr viel von sich preisgeben will, und Sivan Perwer die intime Zone eher für sich behalten will?
PERWER: Bei mir ist das eher eine Frage der Strategie. - Manchmal protestieren die Leute, also die politischen Organisationen, und wollen das musikalische Gefühl bzw. die Idee hinter einem Lied zerstören. Um es dennoch ausdrücken zu können, muß ich Umwege gehen. Ich spiele also daraufhin wieder eine Musik, die die Situation beruhigt. Und wenn die Menschen lachen und sehr glücklich sind, singe ich Tanzlieder, Liebeslieder, wobei ich aber von der Gleichberechtigung der Frau singe. Denn die Frauen sind zweifach bedroht, die Männer nur einfach. Manche Männer werden dann böse und beschweren sich, dass die Frauen ihnen jetzt auf den Kopf steigen. Damit sie sich wieder beruhigen, singe ich wieder etwas anderes ...
intimacy-art: Wir Westler können dagegen alles raussingen. Willi Resetarits hat sich sicher nie überlegt, etwas umschreiben zu müssen. Er kann so intim sein, wie nur möglich.
RESETARTIS: Man kann zumindest genau sein. Aber ich will auf keinen Fall autobiografisch sein. Es ist nur etwas scheinbar Autobiografisches, mit dem Zweck, Inhalte und Gefühle zu vermitteln, die alle betreffen. Wenn ich meine Privat-Befindlichkeiten in die Welt hinaus verbreite, ist das uninteressant.
intimacy-art: Ist Ihre kurdische Musik eine Musikform, die auch zur kurdischen Klassik zählt?
PERWER: Ich habe verschiedene Motive. Ich bin mit kurdischer Musik aufgewachsen, habe aber immer versucht, verschiedene Motive außerhalb davon zu integrieren. Hinsichtlich Gefühl, Ereignissen.
intimacy-art: Es beinhaltet also Volksmusik und klassische Elemente, alles zusammen.
PERWER: Ja, und daneben gibt es noch die spezielle Musik von Sivan Perwer als eigentliches Ziel. Sodaß jeder weiß, wenn ich ein neues Lied singe, dass es von mir komponiert wurde.
intimacy-art: Und mit türkischer Musik hat das nichts zu tun?
PERWER: Nomalerweise nicht, aber wenn man global denkt, gibt es von jedem Volk etwas. Wir leben als Türken, Araber, Perser nebeneinander zusammen und leben auch von einander. Die Türken und Araber haben umgekehrt von unserer kurdischen Musik viel übernommen.
intimacy-art: Ach so, die haben von Ihnen Dinge übernommen.
RESETARITS: Das ist ein Austausch, der in allen Kulturen passiert.
intimacy-art: Bei Willi Resetarits ist noch der "Proletarier"-Einfluß wichtig zu erwähnen. Wie kokettieren Sie denn damit, auch mit dem Akademikertum?
RESETARITS: Mir ist dabei nur ganz wichtig, dass man stets im Bewußtsein hält, wo man herkommt. Man sollte nicht irgendetwas anderes behaupten.
intimacy-art: Aber das mit den Titeln, der Dr. Ostbahn Kurti, und auch Ihre Musiker tragen noch die Titel, ...
RESETARITS: ... das ist ein Spiel ...
intimacy-art: ... aber auch eine Provokation.
RESETARITS: Aber mit der Grundaussage, die eigene Herkunft nicht zu verleugnen, egal, ob das jetzt eine Volksgruppe oder die soziale Schicht ist.
intimacy-art: Und dass Sie Prominente wie Barbara Rett und Michael Köhlmeier in Ihrem Projekt dabei haben - ist das eine Spekulation, mit einem Prominenten - wie auch Präsident Dr. Heinz Fischer innerhalb Ihrer PR-Arbeit - mehr Rückhalt und Aufmerksamkeit zu bekommen oder geht es da tatsächlich um die Personen als bewußte Teile des Kunstprodukts?
RESETARITS: Also bei diesen beiden hängt es an den Personen, die ich sehr schätze und die sich, sozusagen, auch sehr gern bereit erklären, uns zu helfen.
intimacy-art: Also zwei Fliegen auf einen Klatsch.
RESETARITS: Ein Doppelnutzen, ja.
Wie nahe sich zwei fremde Menschen kommen können
intimacy-art: Wie nah sind Sie einander nun tatsächlich?
PERWER: Wir verstehen uns meist sehr, sehr gut, und respektieren einander sehr. Und an unserem Beispiel sieht man, dass das mit der Zeit immer besser geht. Also sehr, sehr langsam. Nach vier Jahren unserer Zusammennarbeit hat sich das gut entwickelt.
intimacy-art: Man hört es auch auf der CD, dass das im Laufe des Konzerts immer mehr zusammen wächst.
PERWER: Und im neuen Konzert wird es noch besser gehen. Wir versuchen, unsere Musik und Gruppen in eine neue Form einzubinden. Also nicht nur meine Band und seine Band. Wir schauen, welche Lieder sich in einander einfügen lassen, sodass sie für sich selbst perfekt werden. Welche unserer Instrumente Willis und meine Musik noch besser verbinden können. Darüber denken wir zuerst nach, und dann bringen wir noch ein neues Repertoire von alten und neuen Liedern ein.
intimacy-art: Was heißt denn Ihr Titel Naze, wo auch Willi Resetarits mit einstimmt?
PERWER: Das heißt "Verwöhntes Mädchen", ist aber auch ein Name für sensible Leute, sowie ein weiblicher Vorname. Und wenn sich eine Dame nicht erklären kann, sagt man, Du bist sehr nazig. Dann sagt man naze, nazenin, nazelie, nazlie, nazike, es gibt verschiedene Abwandlungen.
intimacy-art: Das ist bei der Sprache also wie mit den Vierteltönen in der Musik.
PERWER: Ja, genau.
intimacy-art: Da merkt man erst, wie exakt Sie sind, mit diesen vielen feinen Unterscheidungen. Wahrscheinlich kommt das von der alten Perser-Kultur. Wie bei der alten asiatischen Kultur mit ihren vielen Zwischenebenen.
PERWER: Ja, die Kurden sind ja auch ein Volk des Nahen Ostens. Das würde ich aber nicht für uns alleine beanspruchen, sondern auch für die arabische, türkische, persische Kultur. Aber ich singe natürlich vom Kurdischen heraus solche Lieder, weshalb diese Lieder in Kurdistan sehr bekannt sind. Das sind Volkslieder, klassische Volkslieder aus hunderten von Jahren.
(Interview-Auszug vom 20.9.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)