Saturday, December 16, 2006

"Der Vampir erzählt uns von Macht, Sucht und Verantwortung", Neville Tranter 1


Foto: Neville Tranter (© Elfi Oberhuber)

Figurentheater in aller Munde: ob bei Roman Paska mit Beethoven in Camera ab 19.1.07 im Schauspielhaus Wien, beim Kabinetttheater im anderen Konzert im Wiener Konzerthaus am 18.2. oder mit Gute Götter - so ein Theater! im Keller "Hölle" des Theaters an der Wien ab 20.3., oder bei Ronnie Burketts 10 Days on Earth ab 25.5. im Rahmen der Wiener Festwochen im Schauspielhaus. - Da diese Dramatikform mit Puppen arbeitet - tot und doch so lebendig - handelt sie immer auch von der Urfrage "Leben und Tod", von der Durchlässigkeit, dem Vergehen und Verfall, dem Fortgang der Menschheit und damit von der Verantwortung des Einzelnen dafür. Am besten hat dies bisher Australier NEVILLE TRANTER vermittelt, denn neben Bewegungstheater und abstrakter Verfremdung haben seine Stücke auch theatrale Kraft. Derzeit tourt er mit Vampyre durch ganz Europa, dessen Premiere er in Wien feierte. Das Gespräch über das Vampir-Phänomen mit ELFI OBERHUBER steht exemplarisch für das Grundwesen aller Erwachsenen-Puppenkunst, das somit zutiefst ethisch und politisch ist.

Kurzprofil NEVILLE TRANTER (geb. am 5.9.1955 in Queensland/Australien, Sternbild Jungfrau) Der gefürchtetste Theaterkritiker der Niederlande, wo Neville Tranter lebt, bezeichnete Schicklgruber alias Adolf Hitler als "schönstes Stück seines Lebens": Spätestens also, seit Tranter Hitler, Göring und Himmler samt familiärem Anhang in grotesk-makabre Puppenkörper steckte und sie im Bunker des Führers letzten Geburtstag feiern ließ, der alsdann im Selbstmord gipfelte (Video-Ausschnitt über: www.stuffedpuppet.nl/movie.html), ist ein Stück des in Amstelveen lebenden Australiers kein Geheimtipp mehr. Hinter der rhythmischen Virtuosität in romantischem Horrorszenario (Tranter: "Die Magie wird umso stärker, je brutaler du auf der Bühne wirst.") steckt die Detailakribie eines "wahnsinnigen" Perfektionisten. Das fängt in der Farbe des Gaumens der Puppen an, geht über die mit Literaturzitaten bespickte, komplexe Geschichte, bis zum British-Actor-English des Schauspielers Tranter, dem einzigen Menschen auf der Bühne unter den vielen Menschenpuppen - die er alle selbst baut, spricht und spielt. Er gilt als Pionier seines Fachs, indem er mit seinem Stuffed Puppet Theatre seit 1976 "echte Theaterstücke mit Puppen für Erwachsene" entwickelte, mit der illusionären Kraft, als würden jene leben. Im philosophischen Horror-Märchen Vampyre leben sie sogar noch, wenn sie "tot" sind ...

Foto: Neville Tranter und der Vampir-General Count Olav (© Elfi Oberhuber)

Vampir - Archetyp für Leben und Tod


intimacy-art: Das Vampir-Phänomen dreht sich mythologisch und psychologisch um die Bedeutung von Leben und Tod für den Menschen. Wie und warum zeigen Sie das inVampyre?
NEVILLE TRANTER: Die drei Welten ­ Leben, Tod, Scheintod ­ sind nötig, um mit den Schicksalen mitfühlen zu können. Mischwesen gab es schon in der griechischen Klassik, indem Menschen die Kräfte von Göttern hatten. Die helle Welt der Halbgötter repräsentiere ich in Vampyre mit mir in der Rolle des Gabriel. Auf dem Camping-Platz leben die normalen "Menschen" und die Vampire - eine Art "dunkler Halbgötter". Und alles dreht sich um die Hauptfigur Romero, einen jungen Vampir und menschlichen Knaben zugleich.
intimacy-art: Metaphorisch geht es um das physische und moralische Gefühl, tot oder lebendig zu sein: in Leben und Tod.
TRANTER: Dieser Doppelsinn geht schon von der Puppe selbst aus. Sie lebt erst, wenn ich ihr Leben einhauche. Sobald sie von meinen Händen gleitet, ist sie tot. Deshalb funktioniert Torvalds Selbstironie so schön, als er auf Kierkegaard trifft ­ und beide sind Puppen: "Oh, Gott sei dank, ein Mensch!" Darauf Kierkegaard: "Wirklich? Wo?"
intimacy-art: Leben und Tod liegt auch in den Widersprüchen böse-gut, schwach-stark. Der Starke fühlt sich lebendiger. Interessant ist nun, dass ausgerechnet der mehr im Reich der Toten befindliche, starke Count Olav, also der echte Vampir ­ - obwohl als lebender Toter eigentlich "ungesund" ­ - so wunderschön ist.
TRANTER: Ja, Vampire sind kräftig, schön und tot. Sie riechen auch tot. Und der Archetypus des Vampirs kann ganz lang leben.
intimacy-art: Was ihn so mächtig macht.
TRANTER: Ja, denn das Leben des Menschen ist kurz. Die Vampire aber leben lang. Das steht dafür, dass der Vampir in seinem Leben ganz viel mitgemacht hat. Selbst Romero ist eigentlich schon alt, obwohl er noch ein junger Vampir ist. Der Vampir ist also ein Symbol für die Zeit, die Zeit eines Menschen auf der Erde. Und das ist für mich das große Thema in diesem Stück, indem alles durchlaufen wird. So sagt Kierkegaard am Anfang, "Unendlichkeit ist der Zustand des Lebens", und schließt daraus, dass Leben und Tod folglich dasselbe sein müssen. Deshalb sei es nicht wichtig, ob etwas lebe oder tot sei.
intimacy-art: Ähnliches gibt es auch in der Psychologie: "Humor ist der Ausgleich in der Unendlichkeit", gerade weil das Leben schnell endet, soll man jeden Moment genießen.
TRANTER: Da betrachtet man es punktuell, aber in Vampyre steht es dank der Puppen für die Unendlichkeit der Menschheit in ihrem Verlauf: Indem das eine geht, das andere kommt, der eine Mensch stirbt, der nächste folgt. Der Zuschauer findet hier wie im Märchen etwas Symbolisches für die ganze Menschheit.

Wenn Macht in Ohnmacht kippt

intimacy-art: Da beim Vampir all diese Kontroversen so nah bei einander liegen und einander bedingen ­ - krank-stark, schön-häßlich ­ - wissen Sie immer, was gut oder schlecht, richtig oder falsch ist?
TRANTER: Nein. Du glaubst immer zu wissen, was gut ist. In einer total anderen Situation ist es aber gerade das Falsche. Zum Beispiel im Stück: Ingers Vater, Torvald, rennt im Wald andauernd hinter seinem Hund her, anstatt bei seiner Tochter zu bleiben; selbst wenn er seine Tochter liebt.
intimacy-art: Das ist seine Ausrede, um sich nicht wirklich kümmern zu müssen. Er rennt dem Hund nach, da es einfacher ist, etwas Konkretes zu suchen - was aber im Grunde auch nicht konkret ist.
TRANTER: Genau. Und so ist Torvalds ganzes Leben. Bis zum Schluß, wo er verärgert sagt: "Dieser Wald ist ein Alptraum, man läuft immer im Kreis, ohne Garantie, überhaupt einmal raus zu kommen." Das steht philosophisch für seinen Lebensstandpunkt.
intimacy-art: Das hat etwas Beckett-sches: Man wartet im Leben auf etwas, aber weiß nicht, auf was.
TRANTER: Ja, auch die Figur des Torvald wird dadurch zum Archetypus, der uns etwas vom Wesen der Menschheit erzählt.
intimacy-art: Ihre Archetypen sind aber auch Stereotype. Romero ist als Sohn zum Beispiel zu schüchtern und naiv, sein Vater, Graf Olav, ist zu egoisitisch und stolz. Hier zeigt sich das Spiel zwischen Macht und Ohnmacht schlechthin. Geht es im Leben letztenendes darum, Macht zu haben?
TRANTER: Ja. Ich glaube aber auch, du kannst den ganzen Tag das Gefühl haben, Macht zu haben, und plötzlich ändert sich das. Das ist das ewige Spiel von Macht und Ohnmacht. Mit einem Mal bist du machtlos. Durch eine Tür, einen Menschen, das Wetter, einen Hund, du kannst unters Auto kommen, ...
intimacy-art: Nicht zu steuern, bis zum gewissen Grad aber doch.
TRANTER: Du kannst es versuchen.
intimacy-art: Es gilt zumindest, die richtige Balance zwischen Macht und Ohnmacht anzustreben. Nur ändert sich das eigene Gefühl dafür dauernd, je nachdem, wieviel Macht man bereits errungen hat. Man setzt den Level ständig höher; und bist du auf einer Stufe, kannst du kaum mehr darunter gehen.
TRANTER: Ein gutes Wort dafür ist Flexibilität. Man muß flexibel bleiben. Im Machtverhalten ist das allerdings sehr schwierig.

Der Mächtige nimmt sich alles ohne Mitleid

intimacy-art: Mit diesem Wort wird Macht auch positiver.
TRANTER: Ich deute Macht verbunden mit Verantwortung auch positiv. Olav hat seinen Höhepunkt aber schon hinter sich. Und was passiert jetzt? Er fühlt sich zu gut im "minderen Wald" und beklagt sich: "Der Wald ist krank! Und ich muß in diesem Wald meine Zeit verbringen!"
intimacy-art: Die Schuld gibt er der Umwelt. - Oft ist sie es auch.
TRANTER: Das kann auch sein, ja.
intimacy-art: Und was treibt den Vater dazu, in der Nacht im Wald herumzustreunen und ein unschuldiges Mädchen zu beißen, wie Inger? Deren Blut eigentlich sein Sohn bräuchte, um erwachsen zu werden?
TRANTER: Olav steht für den Archetypus des Generals. Er glaubt noch immer an den Krieg, wo er der Held war, der immer junge Frauen hatte: "Und ich bleibe das!" Er liebt junge Frauen, aber nicht als Mensch, sondern als Statussymbol, im Wettbewerbsdenken, um jung zu bleiben. Das kommt vom Stolz der Menschheit. ­ Die sieben Todsünden.
intimacy-art: Hat Inger dennoch erotische Gefühle für Olav?
TRANTER: Wir hatten während der Textentwicklung eine Szene, die sehr gut, aber zu schockierend für die Zuschauer war: Sie wollten nicht, dass Inger ihren Vater Torvald als Mann sehen könnte, den sie haben mußte, und der sie dann fragte: "Was machst du da?" - Deshalb wird Olav aber noch lange nicht zu so etwas wie einem erotischen Vaterersatz. Nein, nie. Sie ist wirklich Olavs Opfer. Er vergewaltigt sie. Das hört man auch. Bei seinem "ahahah".
intimacy-art: Aber sie könnte ihn vielleicht später wegen der sexuellen Erfahrung attraktiv finden. Da er ja öfter kommt...
TRANTER: (lacht)
intimacy-art: Nein, sie liebt also den jungen Romero.
TRANTER: Ja.

Lesen Sie in Teil 2, demnächst auf dieser Site: Der Vampirbiß als verlust der Jungfräulichkeit und Beginn der Schuldigkeit des Menschen
(Interview-Auszug vom 2.5.2006, voll Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)