Tuesday, October 23, 2007

Kuba Kapsa 2: "Als polnischer Künstler hege ich die Bescheidenheit der Zufriedenheit"


Kuba Kapsa + Band CNQ (photos © Elfi Oberhuber)


Zweiter Teil des Gesprächs von ELFI OBERHUBER mit dem jungen polnischen Musiker KUBA KAPSA, Leader der Jazz-Rockband CONTEMPORARY NOISE QUINTET. Nachdem seit 22. Oktober 2007 fest steht, dass mit dem europafreundlichen Kandidaten der rechtsliberalen oppositionellen Bürgerplattform, Donald Tusk, ein neuer Premierminister regieren und der Bisherige, Jaroslaw Kaczynski, in die Opposition gehen wird, mag sich der weltweite Ruf des streitlustigen Polens verbessern. - Zu bisherigen Debatten scroll down! - Nichtsdestotrotz scheinen die Bedingungen des arbeitsamen und künstlerisch wagemutigen, polnischen Jungvolkes anregend zu sein. Schätzungsweise ist das aber auch so, weil diese Menschen noch fähig sind zu empfinden ...



Die Polen, die einfach nur gute Musik hören wollen

intimacy-art: Sie sind mit dem "Contemporary Noise Quintet" nach Ihrer Rock-Band "Something Like Elvis" viel Jazz-lastiger geworden. Wie kam das?
KAPSA: Das ist eine natürliche Entwicklung. Mit 17 lebst du den Punk-Rock, auch als Mensch, während du Jazz noch nicht verstehen kannst. Jazz braucht Zeit, eine gewisse Reife.
intimacy-art: Viele Bands spielen aber ihr Leben lang Pop-Rock. So natürlich kann das also nicht sein.
KAPSA: Doch, diese sind nur unnatürlich stecken geblieben.
intimacy-art: Wobei die individuelle Jazzqualität bei CNQ aber noch immer der expressiv gespielte Punk-Faktor bringt.
KAPSA: Stimmt. Something Like Elvis war allerdings so sehr eine Punk-Band, wie CNQ jetzt eine Jazz-Band "ist". Punk und Jazz sind Richtungen, von denen man ausscheren kann. Eines ist aber sicher: Rock gibt mir nach wie vor das Gefühl, mich selbst auszudrücken. Unser Jazz-Rock ist außerdem viel komponierter als frei improvisierter Jazz. Und doch könnte er noch improvisierter werden.
intimacy-art: Steuern Sie Ihre Musik bewußt in die internationale Klangdimension, um die Welt zu erobern? Trotz Jazz, der tendenziell eine kleinere Zielgruppe erreicht?
KAPSA: Ach. In so strategischen Kategorien denke ich nicht. Ich mache keine Musik nach einem spezifischen Bandkonzept, sondern spiele einfach nur das, was mir wirklich gefällt.
intimacy-art: Aber vom Markt her...
KAPSA: Ja, der Markt...
intimacy-art: Jazz spricht doch ein ganz anderes Publikum an, als jenes, das Sie zuvor hatten. Sie müssen sich praktisch von Null ein Neues aufbauen.
KAPSA: Es ist nicht komplett anders. Und in Polen wollen die Leute einfach nur gute Musik hören. Egal, ob es nun Rock, Punk oder Jazz ist. Ist sie gut, kommt sie an.
intimacy-art: Wozu sicher auch Polens Jazz-Radio-Sender beiträgt, was ja eine Seltenheit ist.
KAPSA: Da waren wir 2006 mit Pig Inside The Gentleman auch die am häufigsten gespielte CD nach dem Tomasz Stanko Quartet. Ein sehr großer Erfolg für uns!

Künstlerisch auf gleichem Niveau mit westlichen Opinionleadern

intimacy-art: Mir fiel in "Something Like Elvis" außerdem Ihre sehr schöne Stimme auf, die Sie noch im CNQ integrieren könnten. Sie erinnerte mich an Mark Knopfler von den "Dire Straits". Kennen Sie diese Band?
KAPSA: Ja, obwohl das keine Musik ist, die ich mir anhöre.
intimacy-art: Mich wundert, dass Sie, mit Jahrgang 1978, diese Band der frühen 80-er überhaupt kennen. Das verwundert mich zeitlich, aber auch politisch, da Sie sie im Kommunismus mitbekommen haben müssen. Der musikalische Stil und Geschmack in Polen scheint im Vergleich mit dem Westen ident, damit international up-to-date und auch noch künstlerisch hochwertig zu sein. Ist Polen für Sie dennoch rückständig?
KAPSA: Nein. Wir haben ein großes Kunst-Potential, wovon wir zehren können. Wir waren nie hinten nach. Das konnten wir gar nicht, schon weil sich die Menschheit ständig entwickelt. Und die Kunst wächst mit ihr mit, über jede Politik und zeitliche Grenzen hinaus.
intimacy-art: Auch mit David Lynch, der den Namen Ihrer ersten Gruppe prägte, und Sie im Sound noch immer zu beeinflussen scheint, zeigen Sie, dass sie kunstästhetisch absolut mit dem Westen mithalten, wo Lynch momentan sämtliche tonangebende Künstler von der Oper bis zur Tanzszene inspiriert.
KAPSA: Nicht nur Lynch, alle guten Filme und Regisseure beeinflussen uns. Die Besonderheit Lynchs ist allerdings, dass er Filme als einer der wenigen Regisseure indirekt macht. Er läßt viele Interpretationsmöglichkeiten offen. Deshalb wurde er auch so berühmt.
intimacy-art: Ihr Musiksound ist damit "international" vielschichtig, die Titel der Nummern sind es dagegen gar nicht. "Army Of The Sun", "Goodbye Monster", "Even Cats Dream About Flying", "Pig Inside The Gentleman" - das klingt nach typisch polnisch-eigenartigem, fast kindischem Humor eines Roman Polanski.
KAPSA: Ja, den liebe ich.
intimacy-art: Titel und Sound lassen im Kopf des Zuhörers gleich einen ganzen, grotesken Film abspielen.
KAPSA: Das stimmt. Der Titel ist der Schlüssel zum Sound. Mit dem Schlüssel öffnest du die Türe, um zu sehen, was drinnen ist.
intimacy-art: Für Jazz ist dieser Humor sehr ungewöhnlich, einschließlich des Covers mit dem Schwein, das Ihr gestylter Bruder auf Armen trägt.
KAPSA: Das ist eben das Schwein im Mann (P.I.G. - Pig Inside The Gentleman). Die Musik allein wäre zu ernst. Diese Balance soll etwas Humor einbringen, sodass die Geschichten unter dem Sound lustig werden.

Autodidakten-Aufwind im Gegensatz zu Bürokratie-Akademikern

intimacy-art: Hat die höchste Arbeitslosenrate Europas in Ihrem Heimatland keine Auswirkungen auf die Kunst? - Obwohl die Polen den Ruf haben, sehr arbeitssam und fleißig zu sein.
KAPSA: Wenn sie gut bezahlt werden, arbeiten sie wie die Tiere, ja. Sie brauchen gerade vier Stunden Schlaf pro Tag.
intimacy-art: Das sieht man auch in Ihrer Ernsthaftigkeit beim Spielen, alles zu geben.
KAPSA: Nur so kannst du Musik machen. Du glaubst daran, so ehrlich, wie du nur kannst. Dann funktioniert sie auch.
intimacy-art: Wie kann man sich das praktisch vorstellen: Treffen Sie einander die ganze Zeit?
KAPSA: Nein, nur einmal die Woche zu den Proben.
intimacy-art: Sind Sie alle Autodidakten?
KAPSA: Die meisten.
intimacy-art: Kommt dieses hohe Niveau von einer prinzipiell gut etablierten Musik-Community?
KAPSA: Nein, nur vom Talent und von der Liebe zur Musik. Ich verstehe Schulen auch nicht. Kurz besuchte ich eine Musikuni, wo ich lernen sollte, was ich schon kannte. Und klassisch komponieren wollte ich sowieso nicht. Die Intuition ist das einzig Wichtige, wenn du musizierst. Nehme ich in meinem Studio Musiker auf, die Klassik wiedergeben, halte ich das in der Regel für beklagenswert akademisch. Sie können sich Musik gar nicht mehr anders vorstellen, als wie sie ihnen beigebracht wurde. Für sie zählen nur Kompositionsvorlagen, Noten, musterhaftes Tempo, Artikulation. Die Musik berühren sie nicht einmal. Das ist das große Problem für ausgebildete Musiker. Nur einer sehr starken Persönlichkeit kann die Schule nützen. Meistens züchtet sie eintönige Beamtenmusiker heran.
intimacy-art: Der akademisch am Fagott ausgebildete, polnische Musiker Krzysztof Dobrek, emigrierte hingegen nach einem Orchesterjob in Polen nach Österreich und wurde mit dem privat erlernten Akkordeon zum Worldmusik-Star der freien Szene. Das heißt, dass es an den altmodischen Klassik-Institutionen liegen muss, warum diese Musiker zu "Beamten" werden.
KAPSA: Kürzlich spielte ich einem sehr professionellen Pianisten unsere CD P.I.G. vor und sagte zu ihm: "Was ich am Piano mache, ist zwar echt simpel, ich halte Einfachheit in der Musik aber für sehr wichtig." Worauf er sagte: "Es geht nicht um Einfachheit bzw. um was oder wie du spielst, sondern darum, ob Du Deine eigene Sprache hast." Leute, die Tonnen von Büchern lesen und jene dann als Schreiber kopieren, können sich noch so abmühen, sie werden niemandem auffallen...

Europa, nicht Amerika, als Polens Leitbild

intimacy-art: Ist Amerika für Sie artistisch und ökonomisch gesehen das Leitbild aller Länder?
KAPSA: Würde ich nicht sagen. Die USA waren international gesehen überhaupt nie führend in Sachen Kunst. Obwohl es (=Privatiers) viel Geld für Kunst ausgibt. Europa bietet mit all den verschiedenen Ländern mehr kulturelle Vielfalt und scheint sie auch zu behalten. Dehalb erscheint mir europäische Kunst interessanter, angefangen von den weitläufigen Galerien bis zur Performance-Art. Die US-Staaten produzieren dagegen alle dasselbe.
intimacy-art: Es heißt aber, Polen orientiere sich heute sehr an den USA. Vor allem politisch.
KAPSA: Wir sind in Polen 40 Mio Menschen, und in Amerika leben 10 Millionen Polen. Deshalb sind wir mit diesem Kontinent sehr verbunden.
intimacy-art: Begegnen Ihnen manche Länder und Konzerthausbetreiber unfreundlich, wenn sie Sie als Polen erkennen?
KAPSA: Nein, in unserer alternativen Szene spielen Nationalitäten keine Rolle.
intimacy-art: Indem Sie also nun den Kommunismus, dann den Kapitalismus und die Demokratie durchlaufen sind - welches politische Modell halten Sie für die beste Basis für die Kunst?
KAPSA: Ich weiß nicht, ob Kunst wirklich so stark mit der Politik verbunden ist. Ich glaube prinzipiell: wir sollten alle frei sein, liberales Denken ist die beste Basis für das Kunstschaffen.
intimacy-art: Denken Sie, dass Sie das jetzt leben?
KAPSA: Ja, wahrscheinlich weil ich die Politik nie so nah an mich heran lasse und ließ.
intimacy-art: Sind die von Politikern begrifflich oft floskelhaft angesprochenen staatlichen "Rahmenbedingungen" nicht tatsächlich dafür verantwortlich, wenn die Dinge nicht weiter zu bringen sind?
KAPSA: Nun, in unserem Fall bin ich ziemlich zufrieden. Natürlich könnte es immer besser gehen. Ich könnte mehr Geld gebrauchen, um bessere Mikrofone, Computer, ein besseres Auto verwenden zu können. Unterm Strich läuft es aber gut. Mit 15 hatte ich gar kein Geld, nur meine Bassgitarre mit kleinem Verstärker, und war damit total glücklich.
intimacy-art: Mußten Sie sich nie mit dem Zukunftsaspekt herum schlagen, vielleicht kein Musiker werden zu können und einen bürgerlichen Beruf ausüben zu müssen?
KAPSA: Mit 15 wußte ich nicht, was ich einmal werden sollte. Musik war einfach nur meine größte Freude. Auch für meinen Bruder, mit dem ich von Beginn an musizierte, sodass wir heute als gutes Team dasselbe musikalische Gefühl haben. Dann kam langsam der Berufswunsch des Musikers hinzu. Meine Eltern stellten sich dem nicht entgegen. Sie gaben mir sogar die zwei großen Ölbilder unseres Hauses für eine neue Tonanlage. Sie sagten, "o.k., verkauf sie einfach! Wir mögen sie eh nicht". Dieser Rückhalt hatte den Effekt, dass ich heute eine ganze CD alleine aufnehmen könnte, während ich diverse Gitarren, Bass, verschiedene Piano- und String-Arten spiele ...


(Interview-Auszug vom 01.05.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)