Tuesday, November 28, 2006

"Im Sex liegt nicht die Wahrheit für kulturelle Identität", Willi Resetarits & Sivan Perwer, Teil 3


photo: Willi Resetarits und Sivan Perwer (© Lukas Beck)

Burgenland-Kroate WILLI RESETARITS und türkischer Kurde SIVAN PERWER im letzten Teil des Gesprächs mit ELFI OBERHUBER: Was heißt Identität im Vergleich zur Kurdenfrage für alle Menschen? Wie wirkt sich das praktisch auf gemeinsames Musizieren aus? Für Einführung (Teil 1,2) scroll down.


Wie wichtig ist echte Nähe im globalen Zeitalter?


intimacy-art: Sucht man - je mehr Menschen aus verschiedenen Kulturen im globalen Zeitalter aufeinander treffen, je unsicherer man dadurch in der Welt verfestigt ist -, umso mehr nach echter Nähe, nach etwas vom eigenen Charakter oder von der eigenen Herkunft im Anderen? Ist das die dilemma-reiche Farce - selbst beim besten Willen an Toleranz - des Globalen?
RESETARITS:
Als Ideal glaube ich, dass man in einer toleranten Welt den
eigenen Standpunkt braucht, um sich selbst zu definieren. Darüber, was wir Identität nennen. Das ist ganz wichtig, auch für den toleranten Standpunkt.
intimacy-art:
Ich denke die Wahrheit liegt im erotischen Gefühl: Vom
Fortpflanzungstrieb her ist es doch so, dass der Instinkt das Gleiche sucht. Da funktioniert die Toleranz nicht. Ich kann mich mit Ihnen sehr gut unterhalten, aber ob ich bei Ihnen ein erotisches Gefühl hätte, weiß ich nicht. Fühlen Sie sich also von Gleichem angezogen?
PERWER:
Es gibt auf der Welt Menschen in verschiedenster Gestalt geboren. In
Asien, Amerika, Afrika, die einen sind schwarz, Sie sind ein bißchen blond oder weiß, aber dafür sind wir alle nicht schuld. Kulturen, Sprachen sind so unterschiedlich wie die Menschengestaltung, und das soll auch so sein, aber nicht mit Unterdrückung und Ausbeutung. Z.Bsp. in Amerika leben Menschen aus verschiedensten Kulturen, Amerika ist eine Supermacht, aber eigentlich gehört es den Indianern.
intimacy-art: Das stimmt schon. Aber es gibt ja ganz schlimme rassistische Theorien. Charles Darwin sprach bei der Fortpflanzung von Struggling for the Best, und dass man sich zwecks Arterhaltung mit dem Gleichen zusammen tut. Jetzt wissen wir, es hat sich schon so viel vermischt, in der Zeitgeschichte, und das ist auch gut, da immer vielfältigere Mischungen herauskommen. Wozu tendieren Sie beide aber im intimen Bereich - ganz ehrlich und persönlich gesagt?
PERWER:
Sie sind Österreicherin, ich bin Kurde. Ich respektiere Sie als
Mensch. Das müssen wir zunächst akzeptieren. Und falls wir zusammen kommen, kann ich auch ein Österreicher werden. Aber ohne Unterdrückung. Wenn mein Gefühl aber stark und gut ist, so wie ich mich als Kurde fühle, muss ich Kurde bleiben. Es gibt viele Kurden, die in der Türkei zwangsassimiliert sind.
intimacy-art: Haben Sie eine kurdische Frau?
PERWER:
Hatte ich.

intimacy-art: Also nicht mehr.
PERWER:
Wir sind nicht mehr zusammen, aber noch in großer Freundschaft
verbunden.
intimacy-art:
Weil mich wirklich der Sprung interessiert, wo jemand ins
eigene Leben jemand ganz Fremden zuläßt oder ob er das Eigene sucht.
RESETARITS:
Ich kann das nicht generalisieren. Ich denke, dass es, Gott sei
dank so ist, dass es jeweils ganz unterschiedlich ausfällt. Ob man sich mehr zum Eigenen oder mehr zum Fremden bzw. zum Anderen hingezogen fühlt.
intimacy-art:
Aber Sie haben, glaube ich, eine schöne, große blonde Frau.
Sind Sie noch zusammen mit ihr?
RESETARITS:
Wir sind nicht mehr zusammen. Sie war aber keine
Burgenland-Kroatin. Das ist also nicht der Punkt.
PERWER:
Einander gut oder nicht zu verstehen, oder ob etwas hält, ist nicht
unbedingt von der Kultur oder Nation abhängig. Das wichtigste ist, den Menschen an sich zu respektieren, um zusammen oder nebeneinander leben zu können. Wenn man das akzeptiert, muß man sich nicht gegenseitig bekämpfen.

Name zwischen Identität, Fremdbestimmtheit und Markenbewußtsein

intimacy-art: Sie heißen normalerweise Ismail Aygün, warum haben Sie Ihren Namen geändert?
PERWER:
Mein Name war von Anfang an Sivan. Nur mein Nachname war nicht
Perwer, sondern Aygün. Das ist ein türkisches Wort, von Türken vergeben, denn die Kurden dürfen ihren eigenen Nachnamen nicht behalten. Der erste Name kann kurdisch, der Nachname muß arabisch sein.
intimacy-art:
Und Sie haben Ihren Namen von Ostbahn Kurti wieder auf Willi
Resetarits geändert. War das eine Identitäts- oder eine Markenfrage?
RESETARITS:
Der Ostbahn war als wunderbares Projekt vollendet. So konnte ich
wieder zu etwas Neuem schreiten. Ostbahn Kurti ist an sich aber ein Künstlername.
intimacy-art:
Genau. Und damit wurden Sie zur Marke. Nun wurden Sie zu einer
Neuen, doch möglicherweise für nur eine geringe Marktlücke. Denn mittlerweile gibt es schon viele Künstler, die mit dem integrativen Gedanken arbeiten: Das Schauspielhaus, die Worldmusic-an-sich, das Volkstheater, der Ali-G im Fernsehen. Wie schaffen Sie es, Ihre eigene Individualität gegenüber diesen anderen Marken zu verteidigen?
RESETARITS:
Also, i glaub net, dass i des verteidigen will und verteidige es
auch nicht. Ich glaube, dass man etwas schlecht verwaltet, wenn man es krampfhaft verteidigt. Sollte es nicht übrigbleiben, war es offenbar nicht stark genug. Und da ich mich in dieser Arbeit in positivem Sinne wirklich verliere, wird es sicherlich eigen sein und übrig bleiben.
PERWER:
Und spüren die Menschen, das ist richtig, stützt es auch wieder
unsere Persönlichkeit und Identität.
intimacy-art:
Das schaffen Sie nun, indem Sie Ihre beiden Musikstile
durchmischen, ...
RESETARITS:
Ja, aber sehr vorsichtig und mit Respekt. Es soll nichts
verändert und auch nichts verbessert werden, sondern wir machen einfach gemeinsam Musik. Und langsam verstehen wir uns besser, sodass wir schon mehr miteinander kommunizieren können: musikalisch. Denn grundsätzlich unterscheidet sich die kurdische Musik von der arabischen und der westlichen Musik. Die Skalen, die Vibrationen sind anders, man arbeitet mit Vierteltönen, die wir Westler weder haben, noch hören, wobei wir Angst haben, unsere Halbtöne mit diesen Vierteltönen zusammen zu bringen. Die größten Probleme gab es aber wegen Percussion und westlichem Schlagzeug, das für die kurdische Musik zu mächtig ist. Wir übernehmen daher jetzt den Rhythmus der kurdischen Kollegen, wenn wir in Liedstellen und -übergängen zusammen kommen.
intimacy-art:
Interessanterweise sind Sie inhaltlich erst recht von einander
verschieden. Sivan Perwer ist der Erzähler von narrativen Geschichten, sei es über Großgrundbesitzer, die sich duellieren, oder von Steppen-Lautmalereien mit Flöten, während Willi Resetarits persönliche, innere Monologe singt, wie etwa “"Wann de Musik vuabei is, steht ma ganz alla do". Wie verträgt sich das?
RESETARITS:
Ich denke, dass die Musikstücke für sich selbst sprechen und
auch die Texte. Es gibt bei uns beiden sehr schöne Liebeslieder, die in ihrer Art sehr verbreitet sind. Im Grunde sind auch Marienlieder vom Text her Liebeslieder. Die meisten Lieder sind daher Liebeslieder.
intimacy-art:
Bei Ihnen allein oder bei Ihnen beiden?

RESETARITS:
Überall, weltweit und bei uns beiden auch. Aber es gibt
natürlich auch konkrete Aussagen, und aufgrund Sivans Herkunft muß auch das Statement für die kurdische Identität kommen, weil es etwas zu erringen gilt. Ich selbst muß da nicht so kämpfen.
intimacy-art:
Sie singen etwa: “"Leben ist Arbeit und di bringt di um",
Zitate von Bruce Springsteen auf Sie selbst ganz persönlich umgemünzt. Das unterschiedliche Maß an Intimität, das man rausläßt, ist bei Ihnen also sehr verschieden: Würden Sie sagen, dass Willi Resetarits auf der Bühne sehr viel von sich preisgeben will, und Sivan Perwer die intime Zone eher für sich behalten will?
PERWER:
Bei mir ist das eher eine Frage der Strategie. - Manchmal
protestieren die Leute, also die politischen Organisationen, und wollen das musikalische Gefühl bzw. die Idee hinter einem Lied zerstören. Um es dennoch ausdrücken zu können, muß ich Umwege gehen. Ich spiele also daraufhin wieder eine Musik, die die Situation beruhigt. Und wenn die Menschen lachen und sehr glücklich sind, singe ich Tanzlieder, Liebeslieder, wobei ich aber von der Gleichberechtigung der Frau singe. Denn die Frauen sind zweifach bedroht, die Männer nur einfach. Manche Männer werden dann böse und beschweren sich, dass die Frauen ihnen jetzt auf den Kopf steigen. Damit sie sich wieder beruhigen, singe ich wieder etwas anderes ...
intimacy-art:
Wir Westler können dagegen alles raussingen. Willi Resetarits
hat sich sicher nie überlegt, etwas umschreiben zu müssen. Er kann so intim sein, wie nur möglich.
RESETARTIS:
Man kann zumindest genau sein. Aber ich will auf keinen Fall
autobiografisch sein. Es ist nur etwas scheinbar Autobiografisches, mit dem Zweck, Inhalte und Gefühle zu vermitteln, die alle betreffen. Wenn ich meine Privat-Befindlichkeiten in die Welt hinaus verbreite, ist das uninteressant.
intimacy-art:
Ist Ihre kurdische Musik eine Musikform, die auch zur
kurdischen Klassik zählt?
PERWER:
Ich habe verschiedene Motive. Ich bin mit kurdischer Musik
aufgewachsen, habe aber immer versucht, verschiedene Motive außerhalb davon zu integrieren. Hinsichtlich Gefühl, Ereignissen.
intimacy-art:
Es beinhaltet also Volksmusik und klassische Elemente, alles
zusammen.
PERWER:
Ja, und daneben gibt es noch die spezielle Musik von Sivan Perwer
als eigentliches Ziel. Sodaß jeder weiß, wenn ich ein neues Lied singe, dass es von mir komponiert wurde.
intimacy-art:
Und mit türkischer Musik hat das nichts zu tun?

PERWER:
Nomalerweise nicht, aber wenn man global denkt, gibt es von jedem
Volk etwas. Wir leben als Türken, Araber, Perser nebeneinander zusammen und leben auch von einander. Die Türken und Araber haben umgekehrt von unserer kurdischen Musik viel übernommen.
intimacy-art:
Ach so, die haben von Ihnen Dinge übernommen.

RESETARITS:
Das ist ein Austausch, der in allen Kulturen passiert.

intimacy-art:
Bei Willi Resetarits ist noch der "“Proletarier"-Einfluß
wichtig zu erwähnen. Wie kokettieren Sie denn damit, auch mit dem Akademikertum?
RESETARITS:
Mir ist dabei nur ganz wichtig, dass man stets im Bewußtsein hält, wo
man herkommt. Man sollte nicht irgendetwas anderes behaupten.
intimacy-art: Aber das mit den Titeln, der Dr. Ostbahn Kurti, und auch Ihre Musiker tragen noch die Titel, ...
RESETARITS:
... das ist ein Spiel ...

intimacy-art: ... aber auch eine Provokation.
RESETARITS:
Aber mit der Grundaussage, die eigene Herkunft nicht zu
verleugnen, egal, ob das jetzt eine Volksgruppe oder die soziale Schicht ist.
intimacy-art: Und dass Sie Prominente wie Barbara Rett und Michael Köhlmeier in Ihrem Projekt dabei haben - ist das eine Spekulation, mit einem Prominenten - wie auch Präsident Dr. Heinz Fischer innerhalb Ihrer PR-Arbeit - mehr Rückhalt und Aufmerksamkeit zu bekommen oder geht es da tatsächlich um die Personen als bewußte Teile des Kunstprodukts?
RESETARITS:
Also bei diesen beiden hängt es an den Personen, die ich sehr
schätze und die sich, sozusagen, auch sehr gern bereit erklären, uns zu helfen.
intimacy-art:
Also zwei Fliegen auf einen Klatsch.

RESETARITS:
Ein Doppelnutzen, ja.


Wie nahe sich zwei fremde Menschen kommen können


intimacy-art:
Wie nah sind Sie einander nun tatsächlich?

PERWER:
Wir verstehen uns meist sehr, sehr gut, und respektieren einander
sehr. Und an unserem Beispiel sieht man, dass das mit der Zeit immer besser geht. Also sehr, sehr langsam. Nach vier Jahren unserer Zusammennarbeit hat sich das gut entwickelt.
intimacy-art:
Man hört es auch auf der CD, dass das im Laufe des Konzerts
immer mehr zusammen wächst.
PERWER:
Und im neuen Konzert wird es noch besser gehen. Wir versuchen,
unsere Musik und Gruppen in eine neue Form einzubinden. Also nicht nur meine Band und seine Band. Wir schauen, welche Lieder sich in einander einfügen lassen, sodass sie für sich selbst perfekt werden. Welche unserer Instrumente Willis und meine Musik noch besser verbinden können. Darüber denken wir zuerst nach, und dann bringen wir noch ein neues Repertoire von alten und neuen Liedern ein.
intimacy-art:
Was heißt denn Ihr Titel “Naze, wo auch Willi Resetarits mit
einstimmt?
PERWER:
Das heißt “"Verwöhntes Mädchen", ist aber auch ein Name für sensible
Leute, sowie ein weiblicher Vorname. Und wenn sich eine Dame nicht erklären kann, sagt man, Du bist sehr nazig. Dann sagt man naze, nazenin, nazelie, nazlie, nazike, es gibt verschiedene Abwandlungen.
intimacy-art:
Das ist bei der Sprache also wie mit den Vierteltönen in der
Musik.
PERWER:
Ja, genau.

intimacy-art:
Da merkt man erst, wie exakt Sie sind, mit diesen vielen
feinen Unterscheidungen. Wahrscheinlich kommt das von der alten Perser-Kultur. Wie bei der alten asiatischen Kultur mit ihren vielen Zwischenebenen.
PERWER: Ja, die Kurden sind ja auch ein Volk des Nahen Ostens. Das würde ich aber nicht für uns alleine beanspruchen, sondern auch für die arabische, türkische, persische Kultur. Aber ich singe natürlich vom Kurdischen heraus solche Lieder, weshalb diese Lieder in Kurdistan sehr bekannt sind. Das sind Volkslieder, klassische Volkslieder aus hunderten von Jahren.


(Interview-Auszug vom 20.9.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)

Tuesday, November 14, 2006

"Die Kurden sind Spielball der Weltpolitik...", Willi Resetarits und Sivan Perwer, Teil 2


photo: Willi Resetarits und Sivan Perwer (© Lukas Beck)

Burgenland-Kroate WILLI RESETARITS und türkischer Kurde SIVAN PERWER sprechen mit ELFI OBERHUBER kurz vor ihrer Konzerttour durch ganz Österreich über die Situation der Kurden in der Weltpolitik. Für Einführung (Teil 1) scroll down.


Kurden - ein Riesenvolk verteilt auf viele Länder


intimacy-art: Sivan Perwer, Sie sind weltweit die Repräsentationsfigur für die kurdische Volksgruppe. Welche Länder umfaßt denn dieses "Kurdistan"?
PERWER: Historisch betrachtet gibt es keine Grenzen, sondern nur den Hunderte von Jahren alten Namen. Grenzen wurden erst mit dem nationalen Bewußtsein ausgehend von Frankreich gesetzt.
intimacy-art: Ah ja, mit der Bürgerrevolution durch Napoleon.
PERWER: Während Österreich Land von Deutschland nahm und umgekehrt, wurde Kurdistan unter vielen Ländern aufgeteilt.
intimacy-art: Ich kenne Kurdistan auch nur als Märchen-Mythos.
PERWER: Kurdistan war also kein Staat, sondern der Überbegriff von Aserbaidschan, Afghanistan, etc.. All jene Länder, wo Kurden lebten, werden im Volksmund aber noch immer Kurdistan genannt. Selbst ohne Grenze.
PERWER (zieht mit dem Finger mit festem Druck eine Grenze auf den Tisch): Verstehen Sie?
intimacy-art: Ja.
PERWER: Im nahen Osten wurden die Grenzen überhaupt erst nach 1920 gezogen. Türkei bekam seinen heutigen Namen samt Grenze erst 1923. Davor hieß es Anatolien, Kurdistan, Pontus, und nicht "Türkei". Ata Türk und die nationalistischen Türken haben dann überlegt, was für einen Namen sie wohl für sich finden sollten? Türk - also Türkei. Türkei ist für Anatolien aber untypisch, es ist nur für Turkmenistan in Mittelasien typisch. Ganz anders wie das sehr alte Kurdistan.
intimacy-art: Sind die Kurden also eher die Perser? Sind Perser und Türken von der Rasse her verschiedener Herkunft?
RESETARITS: Das sind andere Völker, ja.
PERWER: Kurden sind mit Persern verwandt, auch mit Österreichern und Deutschen. Nur von der Sprache her nicht.
intimacy-art: Germanen sollen ja enthalten sein.
PERWER: Indogermanen.
intimacy-art: Inwiefern ist das anders?
PERWER: Kurdisch und persisch unterscheidet sich als indogermanische bzw. indoeuropäische Sprache total vom Arabischen und Türkischen.
intimacy-art: Dennoch klingt für mich Außenstehenden die kurdische Musik ähnlich wie die türkische Musik.
PERWER: Aber Sie haben nach Kurdistan gefragt: Bevor diese Staaten - Irak, Syrien, Iran, Türkei - im Abkommen von arabischen Scheichs mit europäischen Imperialstaaten gegründet wurden, mußten sie die Kurden besiegen, die sie als neue Herrscher dann unterdrückten.
intimacy-art: Das mit den Imperialstaaten entspricht ja auch der westlichen Geschichte.
PERWER: ... Amerika, ja ...
intimacy-art: Wo sind jetzt aber noch Kurden? Wo kämpfen sie um Akzeptanz?
PERWER: In der Ost-Türkei leben 25 Millionen, über 12 Millionen im West-Iran, 6 Millionen in freier Föderation im Nord-Irak, über drei Millionen in Nord-Syrien. Also mehr als 40 Millionen Menschen sind Kurden.
intimacy-art: Sie nennen also alle Gebiete, wo Kurden leben, Kurdistan.
PERWER: Ja, wir Kurden wissen sehr gut, wo Kurdistan ist.

Kurden zwischen West, Ost und Öl

intimacy-art: Wie ist denn das Verhältnis der Kurden zu EU, USA, Israel und Palästinensern?
PERWER: Politisch?
intimacy-art: Ja.
PERWER: Käme die Türkei zur EU, wäre das prinzipiell sehr gut für die Kurden, wie auch für den Nahen Osten. Die Kurden haben sich von Europa immer Einsatz erwartet. Europa handelte den Kurden gegenüber aber immer passiv, und meinte nur, "ja, wenn sich die Regierungen demokratisieren und entgegenkommender verhalten, wird sich das lösen. Kurden, habt Geduld." In Wahrheit suchte Europa aber immer nur die wirtschaftlich vorteilige Verbindung. Deutschland wollte viele Mercedes verkaufen, Schweden viele Volvos, Frankreich Renaults und Peugeots. Amerika meinte indessen, Europa hätte um Kurdistan falsche Grenzen gelegt und wollte sie ändern. Wem kann man also glauben? Europa oder Amerika? Wobei aber Amerika wieder nur das Öl im Auge hat, da 67% des Weltöls vom Nahen Osten kommen, die Amerika kontrollieren möchte. Was Europa nicht geschafft hat, will also jetzt Amerika schaffen. Da geht es um Wirtschaftspolitik.
intimacy-art: Besitzen denn auch Kurden Öl-Land?
PERWER: Ja, 9% des Weltöls kommen aus Kurdistan.
intimacy-art: Es gibt also reiche Scheichs, die Kurden sind?
PERWER: Die Engländer unterstützten einmal einen kurdischen Aufstand in der Türkei, da Türkei nach Kirkuk und Mussel verlangte, wo es Öl gibt. Dann arrangierte sich die Türkei mit England und sagte: "Wir lassen Kirkuk und Mussel, so wie es ist, aber dafür beenden Sie den kurdischen Aufstand." So wurde dieser Aufstand zerstört. Also nicht nur die Türken haben Kurdistan zerstört, sondern auch die Franzosen und Engländer.
RESETARITS: Die Kurden sind daher seit über hundert Jahren Spielball der Weltpolitik, weil sie keine eigene Vertretung haben.
intimacy-art: Stellen Kurden nun definitiv eine potentielle Macht dar, dass man sie immer unterdrückt, oder nicht?
PERWER: Potentiell geht es den Kurden nur um "viel Freiheit". Sie haben nie jemanden ausgebeutet und suchen nur nach Frieden und eigenen Rechten. Vielleicht hilft es jetzt, dass sich Amerika mit den Kurden befreundet ...
intimacy-art: Also doch, und Israel auch?
PERWER: Israel hat immer mit Amerika zu tun und weniger mit Arabern.
intimacy-art: Eben, die sind ja meist verbündet.
PERWER: Israel ist das einzige Land im Nahen Osten, das demokratisch ist, und doch gibt es diese sehr sensible Situation zwischen den Israelis und den Arabern mit ihrer islamischen Tradition und arabischen Mentalität. Die Araber müßten zuerst einmal ihr eigenes Land mit den vielen Staaten entwickeln, ihr eigenes Volk sozialisieren und demokratisieren, anstatt gegen Israel zu kämpfen. Auslöser sind aber nicht nur Araber oder Israel, sondern auch der Westen, der um das Öl im Nahen Osten kämpft. Der Westen entscheidet letztlich immer über den Nahen Osten. Diese Frage könnte daher auch vom Westen gelöst werden, der die hitzigen Ost-Völker aber nur mit Waffen beliefert, anstatt jene zu verweigern. So werden sie einander fertig machen, wobei der Westen Mitschuld trägt. Und in Wahrheit geht es wieder nur um das Öl.

Obwohl Kurden wie Araber Muslime sind: Konflikte

intimacy-art: Hinzu kommt, dass die meisten Kurden Muslime sind. Und innerhalb der Muslime und ihren Strömungen herrschen abermals Konflikte.
PERWER: Für die Kurden sind Religion oder Islam kein Problem. Da passen wir sehr auf. Derlei Konflikte würden sich nachteilig auf unser Vorhaben, ein starkes nationales Bewußtsein, eine Identität zu erlangen, auswirken, was sich 80% der Kurden wünschen.
intimacy-art: Hat man aber als Moslem nicht denn größeren Konflikt mit Christen?
PERWER: Die Kurden haben mit den Christen keinen Konflikt. Und die Muslime an sich haben einen Konflikt anderer Natur, wofür sie von den Kurden keine Hilfe bekommen werden, sprich wegen oder von Kurdischen Muslimen. Wir alle sind Muslime, wie Araber, Perser, Türken auch. O.k., warum haben wir aber dann diese Probleme? Warum beuten sie uns aus? Das ist doch nicht Muslim! Der Islam wird hier nur benutzt, zugunsten der Interessen arabischer Scheichs. Religion hätte hinsichtlich des Menschenrechts eine andere Bedeutung.
intimacy-art: Die Fanatischen sind trotzdem immer die, die sehr religiös sind.
PERWER: Die arabischen Scheichs, die türkischen Generäle bringen bewußt fanatische Gläubige hervor, um konfliktreiche Aktionen zu setzen. Das Volk ist normalerweise nie gegen einander.
intimacy-art: Sind Sie sehr gläubig?
PERWER: Ich bin nicht gläubig, nein. Und 80% der Kurden sind da wie ich. Ich respektiere aber Gläubige, wenn sie gut und ruhig sind. Ich bin nur gegen Fanatismus.


Lesen Sie in Teil 3 des Gesprächs demnächst auf dieser Site: Wie sich nationale Identität und Toleranz in einem selbst und in der Musik vereinen lassen

(Interview-Auszug vom 20.9.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)