Tuesday, October 23, 2007

Kuba Kapsa 2: "Als polnischer Künstler hege ich die Bescheidenheit der Zufriedenheit"


Kuba Kapsa + Band CNQ (photos © Elfi Oberhuber)


Zweiter Teil des Gesprächs von ELFI OBERHUBER mit dem jungen polnischen Musiker KUBA KAPSA, Leader der Jazz-Rockband CONTEMPORARY NOISE QUINTET. Nachdem seit 22. Oktober 2007 fest steht, dass mit dem europafreundlichen Kandidaten der rechtsliberalen oppositionellen Bürgerplattform, Donald Tusk, ein neuer Premierminister regieren und der Bisherige, Jaroslaw Kaczynski, in die Opposition gehen wird, mag sich der weltweite Ruf des streitlustigen Polens verbessern. - Zu bisherigen Debatten scroll down! - Nichtsdestotrotz scheinen die Bedingungen des arbeitsamen und künstlerisch wagemutigen, polnischen Jungvolkes anregend zu sein. Schätzungsweise ist das aber auch so, weil diese Menschen noch fähig sind zu empfinden ...



Die Polen, die einfach nur gute Musik hören wollen

intimacy-art: Sie sind mit dem "Contemporary Noise Quintet" nach Ihrer Rock-Band "Something Like Elvis" viel Jazz-lastiger geworden. Wie kam das?
KAPSA: Das ist eine natürliche Entwicklung. Mit 17 lebst du den Punk-Rock, auch als Mensch, während du Jazz noch nicht verstehen kannst. Jazz braucht Zeit, eine gewisse Reife.
intimacy-art: Viele Bands spielen aber ihr Leben lang Pop-Rock. So natürlich kann das also nicht sein.
KAPSA: Doch, diese sind nur unnatürlich stecken geblieben.
intimacy-art: Wobei die individuelle Jazzqualität bei CNQ aber noch immer der expressiv gespielte Punk-Faktor bringt.
KAPSA: Stimmt. Something Like Elvis war allerdings so sehr eine Punk-Band, wie CNQ jetzt eine Jazz-Band "ist". Punk und Jazz sind Richtungen, von denen man ausscheren kann. Eines ist aber sicher: Rock gibt mir nach wie vor das Gefühl, mich selbst auszudrücken. Unser Jazz-Rock ist außerdem viel komponierter als frei improvisierter Jazz. Und doch könnte er noch improvisierter werden.
intimacy-art: Steuern Sie Ihre Musik bewußt in die internationale Klangdimension, um die Welt zu erobern? Trotz Jazz, der tendenziell eine kleinere Zielgruppe erreicht?
KAPSA: Ach. In so strategischen Kategorien denke ich nicht. Ich mache keine Musik nach einem spezifischen Bandkonzept, sondern spiele einfach nur das, was mir wirklich gefällt.
intimacy-art: Aber vom Markt her...
KAPSA: Ja, der Markt...
intimacy-art: Jazz spricht doch ein ganz anderes Publikum an, als jenes, das Sie zuvor hatten. Sie müssen sich praktisch von Null ein Neues aufbauen.
KAPSA: Es ist nicht komplett anders. Und in Polen wollen die Leute einfach nur gute Musik hören. Egal, ob es nun Rock, Punk oder Jazz ist. Ist sie gut, kommt sie an.
intimacy-art: Wozu sicher auch Polens Jazz-Radio-Sender beiträgt, was ja eine Seltenheit ist.
KAPSA: Da waren wir 2006 mit Pig Inside The Gentleman auch die am häufigsten gespielte CD nach dem Tomasz Stanko Quartet. Ein sehr großer Erfolg für uns!

Künstlerisch auf gleichem Niveau mit westlichen Opinionleadern

intimacy-art: Mir fiel in "Something Like Elvis" außerdem Ihre sehr schöne Stimme auf, die Sie noch im CNQ integrieren könnten. Sie erinnerte mich an Mark Knopfler von den "Dire Straits". Kennen Sie diese Band?
KAPSA: Ja, obwohl das keine Musik ist, die ich mir anhöre.
intimacy-art: Mich wundert, dass Sie, mit Jahrgang 1978, diese Band der frühen 80-er überhaupt kennen. Das verwundert mich zeitlich, aber auch politisch, da Sie sie im Kommunismus mitbekommen haben müssen. Der musikalische Stil und Geschmack in Polen scheint im Vergleich mit dem Westen ident, damit international up-to-date und auch noch künstlerisch hochwertig zu sein. Ist Polen für Sie dennoch rückständig?
KAPSA: Nein. Wir haben ein großes Kunst-Potential, wovon wir zehren können. Wir waren nie hinten nach. Das konnten wir gar nicht, schon weil sich die Menschheit ständig entwickelt. Und die Kunst wächst mit ihr mit, über jede Politik und zeitliche Grenzen hinaus.
intimacy-art: Auch mit David Lynch, der den Namen Ihrer ersten Gruppe prägte, und Sie im Sound noch immer zu beeinflussen scheint, zeigen Sie, dass sie kunstästhetisch absolut mit dem Westen mithalten, wo Lynch momentan sämtliche tonangebende Künstler von der Oper bis zur Tanzszene inspiriert.
KAPSA: Nicht nur Lynch, alle guten Filme und Regisseure beeinflussen uns. Die Besonderheit Lynchs ist allerdings, dass er Filme als einer der wenigen Regisseure indirekt macht. Er läßt viele Interpretationsmöglichkeiten offen. Deshalb wurde er auch so berühmt.
intimacy-art: Ihr Musiksound ist damit "international" vielschichtig, die Titel der Nummern sind es dagegen gar nicht. "Army Of The Sun", "Goodbye Monster", "Even Cats Dream About Flying", "Pig Inside The Gentleman" - das klingt nach typisch polnisch-eigenartigem, fast kindischem Humor eines Roman Polanski.
KAPSA: Ja, den liebe ich.
intimacy-art: Titel und Sound lassen im Kopf des Zuhörers gleich einen ganzen, grotesken Film abspielen.
KAPSA: Das stimmt. Der Titel ist der Schlüssel zum Sound. Mit dem Schlüssel öffnest du die Türe, um zu sehen, was drinnen ist.
intimacy-art: Für Jazz ist dieser Humor sehr ungewöhnlich, einschließlich des Covers mit dem Schwein, das Ihr gestylter Bruder auf Armen trägt.
KAPSA: Das ist eben das Schwein im Mann (P.I.G. - Pig Inside The Gentleman). Die Musik allein wäre zu ernst. Diese Balance soll etwas Humor einbringen, sodass die Geschichten unter dem Sound lustig werden.

Autodidakten-Aufwind im Gegensatz zu Bürokratie-Akademikern

intimacy-art: Hat die höchste Arbeitslosenrate Europas in Ihrem Heimatland keine Auswirkungen auf die Kunst? - Obwohl die Polen den Ruf haben, sehr arbeitssam und fleißig zu sein.
KAPSA: Wenn sie gut bezahlt werden, arbeiten sie wie die Tiere, ja. Sie brauchen gerade vier Stunden Schlaf pro Tag.
intimacy-art: Das sieht man auch in Ihrer Ernsthaftigkeit beim Spielen, alles zu geben.
KAPSA: Nur so kannst du Musik machen. Du glaubst daran, so ehrlich, wie du nur kannst. Dann funktioniert sie auch.
intimacy-art: Wie kann man sich das praktisch vorstellen: Treffen Sie einander die ganze Zeit?
KAPSA: Nein, nur einmal die Woche zu den Proben.
intimacy-art: Sind Sie alle Autodidakten?
KAPSA: Die meisten.
intimacy-art: Kommt dieses hohe Niveau von einer prinzipiell gut etablierten Musik-Community?
KAPSA: Nein, nur vom Talent und von der Liebe zur Musik. Ich verstehe Schulen auch nicht. Kurz besuchte ich eine Musikuni, wo ich lernen sollte, was ich schon kannte. Und klassisch komponieren wollte ich sowieso nicht. Die Intuition ist das einzig Wichtige, wenn du musizierst. Nehme ich in meinem Studio Musiker auf, die Klassik wiedergeben, halte ich das in der Regel für beklagenswert akademisch. Sie können sich Musik gar nicht mehr anders vorstellen, als wie sie ihnen beigebracht wurde. Für sie zählen nur Kompositionsvorlagen, Noten, musterhaftes Tempo, Artikulation. Die Musik berühren sie nicht einmal. Das ist das große Problem für ausgebildete Musiker. Nur einer sehr starken Persönlichkeit kann die Schule nützen. Meistens züchtet sie eintönige Beamtenmusiker heran.
intimacy-art: Der akademisch am Fagott ausgebildete, polnische Musiker Krzysztof Dobrek, emigrierte hingegen nach einem Orchesterjob in Polen nach Österreich und wurde mit dem privat erlernten Akkordeon zum Worldmusik-Star der freien Szene. Das heißt, dass es an den altmodischen Klassik-Institutionen liegen muss, warum diese Musiker zu "Beamten" werden.
KAPSA: Kürzlich spielte ich einem sehr professionellen Pianisten unsere CD P.I.G. vor und sagte zu ihm: "Was ich am Piano mache, ist zwar echt simpel, ich halte Einfachheit in der Musik aber für sehr wichtig." Worauf er sagte: "Es geht nicht um Einfachheit bzw. um was oder wie du spielst, sondern darum, ob Du Deine eigene Sprache hast." Leute, die Tonnen von Büchern lesen und jene dann als Schreiber kopieren, können sich noch so abmühen, sie werden niemandem auffallen...

Europa, nicht Amerika, als Polens Leitbild

intimacy-art: Ist Amerika für Sie artistisch und ökonomisch gesehen das Leitbild aller Länder?
KAPSA: Würde ich nicht sagen. Die USA waren international gesehen überhaupt nie führend in Sachen Kunst. Obwohl es (=Privatiers) viel Geld für Kunst ausgibt. Europa bietet mit all den verschiedenen Ländern mehr kulturelle Vielfalt und scheint sie auch zu behalten. Dehalb erscheint mir europäische Kunst interessanter, angefangen von den weitläufigen Galerien bis zur Performance-Art. Die US-Staaten produzieren dagegen alle dasselbe.
intimacy-art: Es heißt aber, Polen orientiere sich heute sehr an den USA. Vor allem politisch.
KAPSA: Wir sind in Polen 40 Mio Menschen, und in Amerika leben 10 Millionen Polen. Deshalb sind wir mit diesem Kontinent sehr verbunden.
intimacy-art: Begegnen Ihnen manche Länder und Konzerthausbetreiber unfreundlich, wenn sie Sie als Polen erkennen?
KAPSA: Nein, in unserer alternativen Szene spielen Nationalitäten keine Rolle.
intimacy-art: Indem Sie also nun den Kommunismus, dann den Kapitalismus und die Demokratie durchlaufen sind - welches politische Modell halten Sie für die beste Basis für die Kunst?
KAPSA: Ich weiß nicht, ob Kunst wirklich so stark mit der Politik verbunden ist. Ich glaube prinzipiell: wir sollten alle frei sein, liberales Denken ist die beste Basis für das Kunstschaffen.
intimacy-art: Denken Sie, dass Sie das jetzt leben?
KAPSA: Ja, wahrscheinlich weil ich die Politik nie so nah an mich heran lasse und ließ.
intimacy-art: Sind die von Politikern begrifflich oft floskelhaft angesprochenen staatlichen "Rahmenbedingungen" nicht tatsächlich dafür verantwortlich, wenn die Dinge nicht weiter zu bringen sind?
KAPSA: Nun, in unserem Fall bin ich ziemlich zufrieden. Natürlich könnte es immer besser gehen. Ich könnte mehr Geld gebrauchen, um bessere Mikrofone, Computer, ein besseres Auto verwenden zu können. Unterm Strich läuft es aber gut. Mit 15 hatte ich gar kein Geld, nur meine Bassgitarre mit kleinem Verstärker, und war damit total glücklich.
intimacy-art: Mußten Sie sich nie mit dem Zukunftsaspekt herum schlagen, vielleicht kein Musiker werden zu können und einen bürgerlichen Beruf ausüben zu müssen?
KAPSA: Mit 15 wußte ich nicht, was ich einmal werden sollte. Musik war einfach nur meine größte Freude. Auch für meinen Bruder, mit dem ich von Beginn an musizierte, sodass wir heute als gutes Team dasselbe musikalische Gefühl haben. Dann kam langsam der Berufswunsch des Musikers hinzu. Meine Eltern stellten sich dem nicht entgegen. Sie gaben mir sogar die zwei großen Ölbilder unseres Hauses für eine neue Tonanlage. Sie sagten, "o.k., verkauf sie einfach! Wir mögen sie eh nicht". Dieser Rückhalt hatte den Effekt, dass ich heute eine ganze CD alleine aufnehmen könnte, während ich diverse Gitarren, Bass, verschiedene Piano- und String-Arten spiele ...


(Interview-Auszug vom 01.05.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

Sunday, August 12, 2007

Kuba Kapsa 1: "Polens Korruption bewirkt als Obsession die Korruptionsbekämpfung"


Kuba Kapsa (photos © Elfi Oberhuber)

Polen gilt derzeit als Szene, wo sich irrsinnig viel tut. Trotz oder gerade wegen der widersprüchlichen Regierung wird hier Kunst inhaltlich, und damit "als gesellschaftlich wichtig" diskutiert. Sie hat für viele junge Leute existenzielle Bedeutung. Gebeutelt durch Kommunismus, Armut und Arbeitslosigkeit (bzw. unterbezahlte Schwarzarbeit, weshalb die Polen meist vier Jobs parallel ausüben), Katholizismus, Kapitalismus, schwanken aufstrebende Jungkünstler zwischen Hingabe zu klassisch-elegantem Stil und grotesker Satire, wobei immer auch filmisches Bewußtsein zu spüren ist. Bestes Beispiel dafür stellt die neuartige Jazz-Rock-Band Contemporary Noise Quintet dar, deren Leader KUBA KAPSA ist. ELFI OBERHUBER traf ihn zum Gespräch.

Kurzprofil KUBA KAPSA (geb. am 12.10.1978 bei Poznan/Polen, Sternbild Waage) steht auf energetischen Jazz mit Elementen aus Filmmusik. So klingt auch seine junge Jazz-Rock-Band Contemporary Noise Quintet, die 2006 ihre erste CD Pig Inside The Gentleman heraus brachte. Der junge Musiker, der die unterschiedlichen Instrumente Gitarre und Piano - beide in mehreren Abwandlungen von Bass über Melodica bis Syntheziser - spielt, ist als autodidaktischer Musiker schon lange im Geschäft. Zuvor war er seit 1994 Leader der Emo-Hardcore Band Something Like Elvis (Titel aus dem David-Lynch-Film Wild at Heart), wo er mit anregend-tiefer Rockstimme zusätzlich sang. In seinen Bands mit dabei ist am Schlagzeug stets sein um ein Jahr älterer Bruder Bartek Kapsa. In der Alternative-Szene tourten sie bereits durch Europa und Amerika. Nachdem CNQ in Polen das Tomasz Stanko Quartet vom Rang 1 verdrängt hat, will die Band nun auch die europäische, asiatische und amerikanische Jazzszene überzeugen. Absolute, akademisch ausgebildete Profis wie Trompeter Wojtek Jahna und Saxophonist Tomek Glazik spielen hier einen gänzlich anderen Stil als in ihrer Zweitband Sing, Sing Penelope. Die treibenden Musikrhythmiker sind jedoch die Kapsa-Brüder selbst. "Eleganz mit Punk-Energie", "Jazz-Musik ohne Jazz", "Filmmusik ohne Film, aber etwas Glänzendes" sind einige der begeisterten Kommentare der Presse. Die Site der Band: www.electriceye.pl

Warum Rock-Jazz momentan so in und wie Contemporary Noise Quintet dabei einzuordnen ist, können Sie auf intimacy: art in WATCHER (TIPPS) unter dem Titel nachlesen: "AUFFÄLLIGE TRENDS NACH BALKAN-, POLEN- & KLEZMER-FESTIVAL: ROCK & EGO-STIL"

Für Hörproben der Titel Sophie, P.I.G., Army Of The Sun und Goodbye Monster click: http://www.myspace.com/cnquintet


Polen als "Entwicklungsstreber" mit und ohne EU

intimacy-art: Die Welt interessiert sich momentan sehr für Polen. Als großes Land mit einer großen kaufwilligen Jugend, an dem die Weltwirtschaft verdienen kann. Sie waren für ein Konzert gerade als eine von mehreren polnischen Gruppen, organisiert vom Polnischen Instititut, in Wien. Haben Sie das Gefühl, dass das politisch motiviert war?
KUBA KAPSA: Sagen wir besser gleich: ich würde einen anderen Weg vorziehen, um nach Österreich kommen zu können. Ich lasse mich nicht gerne politisch benutzen. Das ist nicht meine Welt, sondern die Musik. Ich möchte nur der Kunst als soziale Notwendigkeit dienen.
intimacy-art: Sie gaben das Konzert ungewöhnlicherweise in der roten Bar im Wiener Volkstheater, auf einer zu ihrer Musik ziemlich unpassenden, roten Mini-Guckkastenbühne. Sind das ideale Bedingungen für Sie?
KAPSA: Manchmal sind die Umstände großartig, das Konzert wird dennoch mühsam; manchmal siehst du, die Umstände sind einfach schrecklich, und das Konzert läuft dennoch wie geschmiert. Dass es gestern unbefriedigend verlief, lag am Soundtechniker, der vielleicht gewöhnlich eher fürs Theater als für Bands arbeitet.
intimacy-art: Ihr Piano, das normalerweise im Vordergrund und treibend ist, war zu wenig präsent und dadurch um das Außergewöhnliche Ihrer Musik beraubt. Vielleicht bekommen Sie also das nächste Mal, trotz außenpolitisch organisierten Konzerts, einen geeigneteren Aufführungsort. - Glauben Sie, Ihre Einladung nach Österreich hat mit der Europäischen Union zu tun, wozu Polen seit 2004 gehört?
KAPSA: Wir Polen würden sicher auch ohne EU wichtiger für die Welt werden, wirtschaftlich und sozial. Der EU-Beitritt beschleunigt den Prozeß nur, Markt und Geld auf einen Boden stellen zu können, er bringt daher viele Vorteile. Vor allem der Austausch scheint wichtig und großartig zu verlaufen, sodass mehr Geld für Kunst und andere Fortschrittsbewegungen vorhanden ist. Viele Wege haben sich für uns jetzt geöffnet, um unsere Mentalität zu entwickeln, unser Denken, unser Studium. Ich denke aber weder global, noch national, im Sinne von, "unsere Kultur nur für uns allein konservieren zu wollen oder uns nicht zu assimilieren". Solche Extreme halte ich für schlecht.

Künstlergruppen-Förderung von Polen und EU

intimacy-art: Hilft die EU Künstlern wie Ihnen direkt?
KAPSA: Ja, wir bekommen Geld vom Staat, um unser Studio zu entwickeln.
intimacy-art: Von der EU oder von Polen?
KAPSA: Von der polnischen Regierung, die aber mit der EU verbunden ist. Ein Teil des Geldes ist von der EU, ein Teil von der polnischen Regierung. Wären wir nicht in der EU, bekämen wir sicher nichts.
intimacy-art: Gibt es einen spürbaren Unterschied gegenüber früheren Zeiten?
KAPSA: Als der Kommunismus zuende ging, war ich 13, also ein kleiner Junge. - Was meinen Sie genau?
intimacy-art: Wann spürten Sie als Künstler so etwas wie Aufwind?
KAPSA: Jetzt fühle ich: es geht voran. Und doch ist es noch nicht perfekt.
intimacy-art: Arbeiten Sie in Warschau?
KAPSA: Nein, im Zentrum Polens, hundert Kilometer von Poznan. Ich lebe in einer Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern. Dort ist es sehr ruhig, sodass ich viel Zeit zum Arbeiten habe. Es ist allerdings richtig, dass alle großen Künstler nach Warschau gehen, wo als Hauptstadt das Geld und die Filme gemacht werden. In große, ziemlich starke Städte wie Poznan, Krakau, Gdansk, wird aber auch viel Geld gepumpt, um den Aufschwung zu forcieren.

Kuba Kapsa (Piano, 3.vr) und Bartek Kapsa (Schlagzeug, 2.vr) umgeben von Wojtek Jachna (Trompete, Flügelhorn), Tomek Glazik (Saxophon), Kamil Pater (Gitarre), Patryk Weclawek (Bass)


Widerspruch zwischen Korruptions- und Aufschwungsland


intimacy-art: Nun hört man ja in der Weltpresse immer von Premierminister Jaroslaw Kaczynski bzw. vom skurrilen Zwillingsbruder-Regierungsphänomen, das er mit Präsident Lech Kaczynski darstellt.
KAPSA: Zwillingsshit, Doubleshit, ja.
intimacy-art: Und gerade deshalb ergibt sich für mich ein Widerspruch. Denn jeder sagt, Polen sei das korrupteste Land der EU - was ja schon am abrupten, unbegründeten Abtritt des vorigen Premierministers Marcinkiewicz zu sehen war ...
KAPSA: Der in seiner Funktion aber auch schon die Marionette Kaczynskis war.
intimacy-art: ... paradoxerweise schafft es Polen jedoch mitsamt umstrittener Regierung, immer mehr an Macht und Stärke in Europa zu gewinnen - was ja führungspolitisch gesehen positiv für das Land ist. Und dabei bringt sie auch noch die polnische Kultur nach Europa und Amerika.
KAPSA: Nun, die Korruption bewirkt als Obsession innerhalb sich selbst die Bekämpfung der Korruption. Unser Justizminister Zbigniew Ziobro ist darin nicht schlecht und vergleichbar mit Rudolph Giuliani in New York. Er glaubt - und ist darin auch erfolgreich -, die Korruption eindämmen zu können. Leider beinhaltet eine Ideologie wie seine aber andererseits die unterentwickelte Einstellung gegenüber Homosexualität und Religion. Diese Politiker und Menschen sind diesbezüglich nicht offen fürs Gespräch.
intimacy-art: Weil sie national-konservativ sind.
KAPSA: Sie sind nicht radikal national-konservativ, aber gemäßigt, ja. Die ältere Generation wählte diese Partei. Die jungen Leute lehnen sie ab. Aber einmal ist die Regierung von links, einmal ist sie von rechts. Das ist halt jetzt die rechte Welle.
intimacy-art: Wie es sich auf der ganzen Welt ständig abwechselt.
KAPSA: Richtig.
intimacy-art: Und diese Welle könnte sich schon bald wieder ändern bzw. noch verschärfen: Denn inzwischen - nach zwei Monaten dieses Gesprächs - wurden Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper, nach einem getürkten Korruptionsvorwurf, sowie der eigene Parteifreund, Innenminister Janusz Kaczmarek, von Kaczynski aus dem Amt entlassen; und da - laut "Der Standard" - der national-klerikale Bildungsminister Roman Giertych Jaroslaw Kaczynskis (!) Befehl verweigerte, Witold Gombrowiczs Roman "Ferdydyrke" auf die Gymnasiasten-Pflichtlektüre zu geben, weil Gombrowicz - im Roman nachvollziehbar - homosexuell (!) war, und jene stattdessen durch Papstbiografien und katholische Lektüre ersetzte, wurden offiziell "wegen Dauerkrise der rechtsnationalen Regierungskoalition" - befürwortet durch die Kaczynskis - für 21. Oktober 2007 Neuwahlen angesetzt.



Lesen Sie in Teil 2 demnächst auf dieser Site: Wie Kuba Kapsa vom Rock plötzlich zum Jazz fand, und warum in Polen beide Richtungen von der Jugend gleich begeistert angenommen werden.

(Interview-Auszug vom 01.05.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

Tuesday, May 01, 2007

Martin Heckmanns 4: "Einen Toten zu kennen, bereichert mein Leben"





Der Burgtheater-Autor MARTIN HECKMANNS gedenkt im letzten Teil des Gesprächs mit ELFI OBERHUBER eines befreundeten Selbstmörders. Kein Einzelfall, wie
der aktuelle Freitod "Marie Zimmermanns" (s. talks life) beweist. Für Einführung, Liebes-, wirtschafts- und sprachkritische Teile 1+2+3 scroll down.


Martin Heckmanns
(photos © Elfi Oberhuber)




Vom Tod zum doppelreflexiven Mißverständnis


Zwei Textauszüge aus Martin Heckmanns Monolog
Das offene Fenster oder Von der Abwesenheit

intimacy-art: Sie lesen in letzter Zeit öfter Ihren ersten, schon erwähnten Monolog "Finnisch oder Ich möchte dich vielleicht berühren", wo es um das Kennenlernen-wollen einer Frau geht, die im Vergleich zum unsicheren Mann sehr selbstsicher ist, und dann als Kontrast "Das offene Fenster oder Von der Abwesenheit", wo offensichtlich eine Frau Selbstmord begangen hat, und er ihr "nachweint". - Das könnte auch generell für das Ende einer Beziehung stehen, also, wo der Mann noch an die Frau denkt, die ihn verlassen hat und nun woanders lebt. - Was wahrscheinlich noch ärger ist. Mich hat es selbst an das Ende einer Beziehung zu einem Geliebten erinnert.
HECKMANNS (trippelt gegen den Tisch): Im Stück?
intimacy-art: Nein, wenn man verlassen wird, erlebt man all das. Der Mensch muß nicht unbedingt sterben.
HECKMANNS (trippelt gegen den Tisch): Ja.
intimacy-art: Bedeutet diese Kombination nun, dass da jemand schreibt, der seine Wunschfrau eigentlich schon mal gefunden, dann aber wieder verloren hat?
HECKMANNS: Der Abschiedstext richtet sich eigentlich an einen Mann. Ich weiß gar nicht, ob es tatsächlich erwähnt wird, oder ob es nur mir klar ist.
intimacy-art: Der, der sich umgebracht hat, ist ein Mann?
HECKMANNS: Ja, ja. Aber dadurch, dass er am Anfang nur mit "du" angesprochen wird, ist es wahrscheinlich unklar, ob es ein Mann oder eine Frau ist.
intimacy-art: Ich dachte, das ist eine Frau am Fenster. Ah, das ist Mann!
HECKMANNS: Ja, aber es gibt natürlich Andeutungen von einer Liebesgeschichte.
intimacy-art: Nicht? - Also das ist tatsächlich ein Mann.
HECKMANNS (lacht): Ja.
intimacy-art (lacht)
HECKMANNS: Ja, aber das ist interessant. Dass es einfach ein Abschied sein könnte, wo der nicht tot sein muß, und dass es eine Frau sein könnte... Ja. Aber es macht für mich im Grunde auch nicht so einen Unterschied.
intimacy-art: Nein, es geht ja nur um Verlust.
HECKMANNS: Ja.
intimacy-art: Es ist doch jeder so in seinem eigenen Leben gefangen, dass er alles auf sich selbst projiziert. Deshalb habe ich gemeint, das könnte man auch von einem Mann sagen, der einen verlassen hat.
HECKMANNS: Ihnen ist aber auch ein Mann ...
intimacy-art: Er ist aber nicht gestorben.
HECKMANNS: Aber der Abschied war auch von einem Mann.
intimacy-art: Eh.
HECKMANNS: Insofern ist das interessant, dass das für Sie jetzt zu einer Frau geworden ist.
intimacy-art: Ja, aber ich bin ja eine Frau.
HECKMANNS (lacht)
intimacy-art: Das ist ja wurscht, es geht ja nur um das. (lacht)
HECKMANNS: Für mich war zuerst mal das Thema "Abwesenheit"" der Grund zu schreiben.
intimacy-art: Für mich ist einfach dieses Bild von dieser Figur am Fenster eine total ästhetische Beschreibung. Dadurch habe ich ja auch so etwas wie Erotik heraus gefühlt.
HECKMANNS: Ja.
intimacy-art: Also hätte ich eher gedacht, dass das in Bezug auf Sie als Schreiber eine Frau sein muss.
HECKMANNS (überlegt und nickt): Mh.Hm.
















(Interview-Auszug vom 20.1.2007,
volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch)
über intimacy-art@gmx.at)

Wednesday, April 11, 2007

Martin Heckmanns 3: "Sexuelle Steigerung ist mit Schmerz verbunden, dafür aber intensiv"



Der am Wiener Burgtheater mit Das wundervolle Zwischending gespielte Autor MARTIN HECKMANNS schildert im dritten Teil des Gesprächs mit ELFI OBERHUBER den Liebeskampf. Für Einführung und wirtschafts- und sprachkritische Teile 1+2 scroll down.


Martin Heckmanns
(photos © Elfi Oberhuber)







Konzentration auf die Liebe - Chance oder Gefahr?

Drei Textauszüge aus
Martin Heckmanns Stück
Das wundervolle Zwischending
,

worin Johann und Anne nach
sieben Beziehungsjahren
einen Film über ihre Liebe drehen,
um sie wieder zu finden ...


intimacy-art: Warum sich Anne und Johann in "Das wundervolle Zwischending" überhaupt auf ihre Liebe konzentrieren wollen, liegt nun nicht an ihrer Einstellung zu Kunst und Öffentlichkeit, sondern eher daran, weil ihre Beziehung es braucht, um zu halten. In der jetzigen Gesellschaft müssen sich dagegen die Leute fast mehr auf ihr Privatleben besinnen, weil sie keinen oder nur einen halben Job bekommen. - Was ist die Gefahr dabei?
HECKMANNS: Die Konzentration kann auch eine Verlockung sein.
intimacy-art: Eher eine Gefahr, da eine Beziehung ja nur aus Projektionen besteht, und wenn man - wie in Ihrem Stück - den anderen damit konfrontiert, dass man ihn eigentlich anders kennengelernt habe als er jetzt sei, kann das ja nur schlecht ausgehen.
HECKMANNS: Zu erforschen, was man tatsächlich für einander ist, birgt auch die Chance, sich "neu" nah zu kommen. Es war in den verschiedenen Inszenierungen des Stücks immer die Frage, ob die beiden ein glückliches oder ein unglückliches Paar bilden. Dadurch, dass sie versuchen, sich neu zu erfinden, gibt es bei ihnen eine große Kraft. Aber auch eine große Härte im Umgang miteinander. Als kraftvolles Paar bemühen sie sich um einander, ringen um Neuheit und Veränderung, ihre Beziehung erledigt sich also noch nicht in der Routine. Die beiden kämpfen noch.

Gratwanderung zwischen sexueller Steigerung und Perversion


intimacy-art: Anne und Johann bewegen sich dabei sexuell noch in einem relativ normalen Rahmen. Johann sagt sogar: "Ich hasse es, dass ich dich begehre, wenn du dich wie eine Nutte stylst." Diesen Satz fand ich toll, weil die meisten Männer gar nicht zu dem Gedanken, sich dafür zu hassen, gelangen, sie stehen einfach zu...
HECKMANNS: ... dem Begehren. Ja. (lacht)
intimacy-art (lacht): Wenn man aber daran arbeitet, dass das Sexualleben interessant bleibt, muss man fast auch den Schritt ins Perverse wagen. Oder sich irgendwelche neuen Dinge überlegen. Die meisten Menschen tun das auch. Liegt darin nun die Gefahr, dass man irgendwann die Schranke, bis zu der es noch erträglich ist, überschreitet?
HECKMANNS: Also im Stück merkt man, glaube ich, dass es in erster Linie um die Steigerung geht. Auch um den Zweifel, wie weit man diese Steigerung betreiben kann. Über diese Schmerzerfahrung entsteht eine Intensität. Wo man da nun Vorsichtsmaßnahmen einbauen muß, habe ich mir aber noch gar nicht überlegt. Ich habe erst mal nur versucht, ein Paar zu beschreiben, das darum ringt, sich nach sieben Jahren noch einmal neu und intensiv zu erfahren.
intimacy-art: Warum sie das schaffen, liegt am Buffer des Films, den sie über ihre eigene Liebesgeschichte drehen. Das ist ein Respekts-Buffer.
HECKMANNS: Ich denke, das gibt ihnen die Möglichkeit, sich von sich selbst zu distanzieren. Sie können sich verstellen und immer auch sagen: Es ist für unseren Film. Das führt auch für den Betrachter zu der Frage, welche Szene eine gefilmte und welche aus dem echten Leben ist. Dadurch öffnet die Beziehung sich für Spielmöglichkeiten. Sodass man nicht weiß, ob dieses SM-Spiel nun eines ist, das getestet wird, weil man es eventuell als Szene benutzen kann oder ob es einem tiefen Bedürfnis der beiden entspringt. In der Inszenierung in Wien wirkt es ja eher wie Anfänger-SM.

Vom gegenseitigen Geschichten-Erzählen zweier Liebender

intimacy-art: Der Film steht aber nicht nur für die Reflexion zweier Liebender, sondern auch dafür, dass die Menschen Filme in Partnerschaften nachleben. Was man von den Medien aufnimmt, lebt man im eigenen Privatleben nach, wobei man gar nicht weiß, ob man das selbst will. Noch weiter geführt, gilt diese Filmszene auch für die Mode der Talkshow-Mentalität, wo sich Leute im Fernsehen für den Partner und die Außenwelt inszenieren. - Halten Sie das für gesund, oder gibt es gerade da Probleme mit der Echtheit?
HECKMANNS: Gesundheit ist immer ein problematisches Argument. Es läßt sich nicht verhindern, dass man über sich selbst als Inszenierten nachdenkt. Im Grunde war es immer schon in der Literatur durch Leseerfahrung so, dass man sich selbst auch als Erzählung versteht. Und darum geht es im Stück: Wie erzählen wir uns? Sind wir ein Experimentalfilm oder ein Musical? Welche Liebesgeschichte sind wir? Und wie finden wir unser Ende? Da würde ich erst mal nicht an "ungesund" denken, sondern als gegeben akzeptieren, dass man sich in der Liebe immer auch gegenseitig eine Geschichte erzählt und fragt: Welche Figur bin ich in dieser Geschichte?


In Teil 4 demnächst auf dieser Site: Wie sich nicht nur der Gesichtsausdruck Martin Heckmanns ein viertes Mal komplett ändert, sondern auch seine Stimmung im
morbiden Text Das Offene Fenster oder Von der Abwesenheit

(Interview-Auszug vom 20.1.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)

Wednesday, April 04, 2007

Martin Heckmanns 2: "Wie wär´s mit einem Subventionsmodell für widerspenstige Künstler?"











Der derzeit am Wiener Burgtheater mit Da
s wundervolle Zwischending gespielte Autor MARTIN HECKMANNS im zweiten Teil des Gesprächs mit ELFI OBERHUBER. Für Einführung und Teil1 scroll down.

Martin Heckmanns
(photos © Elfi Oberhuber
)



Nach dem Medienkonsum-Wahnsinn kommt die Suc
he nach dem Eigenen

Zwei Textauszüge aus Martin Heckmanns
Stück Schieß doch, Kaufhaus!,
worin Kli
ng, Ätz und Knax
in Sachen globaler Markenware
nicht ganz einer Meinung sin
d ...

intimacy-art: Ist unsere Welt so, dass die Anforderungen seitens Industrie immer konkreter und gezielter werden, sodass sich die Menschen mehr auf sich selbst besinnen, um das zu finden, was tatsächlich "eigen" ist? Dass sie dafür den "echten Ausdruck" suchen und darauf kommen, dass das Echte nicht zu benennen ist, sondern nur ein Gefühl hinter allem Gesagten ist?
HECKMANNS: Die damit einher gehende Ironie ist wahrscheinlich weniger eine Haltung als ein Effekt erhöhten Medienkonsums. Dass man sich fragt, was die eigene Sprache sein könnte, welche Situationen wie vorgeprägt sind. Und man sich selbst nicht mehr traut. Denn darum geht es in Liebesbeziehungen wie im Stück Das wundervolle Zwischending: Momente zu finden, die noch nicht verbraucht sind, damit ein Paar noch eine eigene Form der Intimität herstellen kann.
intimacy-art: Verändert sich auch die Art zu leben, wenn man so eine "intime" Sprache pflegt? Oder bleibt das Leben in Ablauf und Qualität so routiniert banal, wie wir es alle kennen?
HECKMANNS:
Dass sich zum Beispiel
diese beiden Figuren im Stück isolieren, hat damit zu tun. Sie nehmen dieses Projekt, ihre Liebesgeschichte zu verfilmen, so existenziell wichtig, dass sie gar keine Außenkontakte mehr pflegen. Denn das würde ihren Kampf um Nähe relativieren. Das ist gleichzeitig die Gefahr. Man sollte es schon noch schaffen, zum Beispiel mit Medienvertretern zu sprechen.
intimacy-art:
Ja, die z
wei Figuren, Johann und Anne im Stück, hätten mir wahrscheinlich einen Korb gegeben und nicht mit mir gesprochen.
HECKMANNS: Der Mann vom Amt kann gerade noch mit ihnen reden, es wird aber schon schwierig.


Softskill-Terror - Wenn Privates an die Öffentlichkeit verkauft werden muß

intimacy-art: Der Mann vom Amt möchte die beiden auch dazu überreden, "ihre Intimität" an die Öffentlichkeit zu "verkaufen". Das hat doch mit Ihrer generellen Gesellschaftskritik der "Softskills" zu tun, wodurch sich die "unbrauchbaren" Menschen, sprich die Kreativdenkenden, die Geisteswissenschaftler, lediglich in Wirtschaft und Gesellschaft vermarkten lassen. Nicht?
HECKMANNS: Ich beschreibe das zuerst einmal: Kommunikationsfähigkeiten, die man alltäglich oder in der Liebesbeziehung verwendet, kann man gleichzeitig als Softskills verkaufen. Dadurch fängt man an, diesen Kommunikationsfähigkeiten zu mißtrauen. Das Paar geht im Stück also gegen sich vor, weil es diese Qualitäten als Verkaufsqualitäten an-sich nicht schätzt und trotzdem merkt, dass der andere auch auf einen schaut, wie auf jemanden, der sich gerade anbietet.
intimacy-art: Soll das nun aber sein, dass die Künstler gefördert werden, und wenn ja, sollen sie ihre intimsten, provokantesten Ideen ausdrücken können, oder nicht?
HECKMANNS:
Ich halte es für die perfidere Herrschaftsstrategie, Freiraum zu geben und sich Künstler zu halten
wie in einem Kindergarten und deren Verausgabung zu konsumieren.
intimacy-art
: Sie meinen also: Jeder Künstler braucht seine Schranken, einen Widerstand?
HECKMANNS: Es gibt eine Richtung vor, wenn man weiß, gegen welche Grenzen man zu agieren hat.


Auf dass die Anarchie gesellschaftsfähig wird

Zwei Textauszüge aus Martin Heckmanns
Stück Das wundervolle Zwischending,
worin das Künstlerpaar Anne und Johann
mit dem Gegenspieler (Mann vom Amt)
um
Privatheit und Echtheit seiner Liebe
mittels Film ringt
und das nicht als Kunst "verkaufen" will ...

intimacy-art: Könnte nicht eine Humanitätsvision sein, dass solche alternativen Leute zu einer Gegenbewegung zur dominanten Wirtschaft führen, in der immer weniger Manager immer mehr verdienen und das Arm-Reich-Gefälle ständig wächst? Dass also etwa die immer öfter zu den Arbeitslosen gehörenden, sprach- und denkfähigen Akademiker innerhalb dieser Szene etwas auf die Beine stellen und damit aus sich heraus einen Ausgleich schaffen, ohne sich direkt an diese Wirtschaft anzubinden? Könnte so die Anarchie gesellschaftsfähig werden?
HECKMANNS:
"Die A
narchie wird gesellschaftsfähig.“ Schönes Paradoxon. Hoffen wir das, ja. (lacht)
intimacy-art (lacht):
Sehen Sie denn die Integration der freien
Künste ins Wirtschaftsleben als positiv an?
HECKMANNS (schüttelt den Kopf)
intimacy-art: Nein?
HECKMANNS: Das Problem ist im Stück thematisiert: Will man sich verkaufen oder will man die Eigenheit bewahren? Den beiden Liebenden geht es darum, etwas zu schaffen, was einerseits eigen ist, andererseits auch noch von außen verstanden wird. - Und da ist das Problem: Sobald jemand sagt, es könne gefördert werden, aber mit anderen Darstellern, ziehen sie ihr Werk zurück. Sie sagen: "Verkaufen wollten wir uns nicht".


Wie wertvolle (trotzige) Künstlerindividuen zu fördern sind

intimacy-art: Sind Sie nun aber dafür, dass sie auf die Förderbedingung eingehen?
HECKMANNS:
Ne
in, dass sie sich ihre Eigenheiten bewahren.
intimacy-art: Sie sollen den Film also nicht verkaufen?
HECKM
ANNS (tr
otzig): Genau. Sie sollen für sich bleiben und dagegen sein.
intimacy-art:
Und von der Sozialhilfe leben.

HECKMANNS: Ja.
intimacy-art:
O.k., n
a gut. Dann müßte man ein Subventionsmodell finden ...
HECKMANNS:
... für widerspenstige K
ünstler.
intimacy-art:
Ja. Und dass man es anders nenn
t als "Sozial- oder AMS-Hilfe", damit es nicht so traurig klingt. - Andererseits: Will nicht jeder seine authentische Kunst herzeigen? Sie wollen doch auch Ihre Sachen zeigen.
HECKMANNS: Ja, aber sie werden entwertet, sobald sie bezahlt werden.


Lesen Sie in Teil 3 demnächst auf dieser Site: Worin die Gefahr liegt, wenn ein Paar nach sieben Jahren Beisammensein die frühere Intensität ihrer Liebe wieder erwecken will. Mit wirklich intimen und scharfen Textauszügen aus Das wundervolle Zwischending ...

(Interview-Auszug vom 20.1.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)

Tuesday, February 27, 2007

Martin Heckmanns 1: "Es blendet zu viel aus, wenn man weiß, wie "es" geht"


Martin Heckmanns (photos © Elfi Oberhuber)


MARTIN HECKMANNS - einer der angesagtesten Autoren des deutschsprachigen Raums - ist mit Das wundervolle Zwischending gerade am Wiener Burgtheater im Vestibül zu sehen, worin ein Künstlerpaar in einer sprachvoll-sprachlosen Welt der Arbeitslosen und Beziehungsprobleme um Liebe und Kunst ringt. Nach der Lesung zweier Monologe in Wien beschreibt der Sprachvirtuose ELFI OBERHUBER "sein" Dilemma genauer: Echte Kunst schöpft aus der Intimität. Doch kaum wird sie veröffentlicht, hat sie sie auch schon verloren - zumindest für den schaffenden Künstler.

Kurzprofil MARTIN HECKMANNS (geb. 19.10.1971 in Mönchengladbach/Deutschland, Sternbild Waage) wird als "begabter, etwas einsamer Linguist unter den jüngeren Dramatikern" gehandelt. So schnell Martin Heckmanns seine eigenen Texte liest, so langsam genießt sie der Leser, so mannigfaltig kann sie der Schauspieler aufladen. Mit dem Schreiben begann Heckmanns 1998: den Monolog Finnisch oder Ich möchte dich vielleicht berühren für seinen Schauspieler-Freund Christian Banzhaf. Seitdem hat Heckmanns Aufenthaltsstipendien und für beinahe jedes Stück Preise erhalten. Disco (UA 2001) ist eine Aufreißer-Analyse über drei Burschen. Schieß doch, Kaufhaus! - mit dem Heckmanns Theater-heute Dramatiker 2002 wurde - enthält Globalisierungskritik, Kränk familiären Generationskonflikt, und Die Liebe zur Leere eine Don-Juan-Persiflage. Alle drei Uraufführungen inszenierte 2002 /04 /06 Simone Blattner am Staatsschauspiel Dresden / Thalia Theater Hamburg bzw. am schauspiel-frankfurt. In Anrufung des Herrn (UA 04) spielt Heckmanns´ Sprache mit der Todesangst und in Das wundervolle Zwischending (UA 05) mit Liebe und Kunst. Kürzlich inszenierte Intendant Hasko Weber, dessen Staatstheater Stuttgart zum Theater des Jahres 2006 gekürt wurde, im Haupthaus die Uraufführung von Wörter und Körper, ein Stück über eine suchende Enddreißigerin, die die Suche findet. Dem wurde im Sinne von Verlust der eigenständige Monolog Das offene Fenster oder Von der Abwesenheit - ein Gedenken an einen befreundeten Selbstmörder - voran gestellt. Und die jüngste Uraufführung erfolgte am 24.3.07 mit Kommt ein Mann zur Welt am Düsseldorfer Schauspielhaus, worin "Bruno" als Künstlersohn auch zum Künstler wird und auch nur ein Mensch ist... Heckmanns Texte werden vom Suhrkamp Theaterverlag in Frankfurt heraus gegeben.

- Wie Martin Heckmanns im Vergleich zu anderen Autoren einzuordnen ist, erfährt man über intimacy: art (www.intimacy-art.com) in aKtuell / REALNEWS / WATCHER (bzw. TIPPS) / Archives: February 2007. Titel: JUGEND IM INTELLEKTUELLENFIEBER - NEUE AUTOREN SUCHEN ECHTHEIT UND NÄHE: VON MARTIN HECKMANNS BIS MICHAL WALCZAK - Scroll down!

- Die Burgtheater-Kritik zu Das wundervolle Zwischending ist auf intimacy: art (www.intimacy-art.com) in aKtuell / REALNEWS / CRITIC / Archives: January 2007 nachzulesen. Titel: THEATER: RUDOLF FREY UND MARTIN HECKMANNS KONGENIAL - IN "DAS WUNDERVOLLE ZWISCHENDING"
- Scroll down!
Aufführungen: Das wundervolle Zwischending * Von: Martin Heckmanns * Regie: Rudolf Frey * Mit: Stefanie Dvorak, Johannes Krisch, Roland Kenda * Ort: Burgtheater im Vestibül, Wien * Zeit: 15.2.2008: 20h


Unsicherheit als erwartete Leistung

Textauszüge (unten) aus Martin Heckmanns´ Monolog
Finnisch oder Ich möchte dich vielleicht berühren
,
über einen romantisch-sensiblen Nichtdraufgänger,
der sich selbst ein Paket schickt und das ganze Stück über
philosophierend probt, wie er der Postbotin näher kommen könnte


intimacy-art: Ich habe Sie gerade fotografiert und damit in das Gefühl, veröffentlicht zu werden, versetzt. Als Schreibender sind Sie dagegen immer introvertiert. Speziell Sie sind wahrscheinlich sogar dazu fähig, sich in Depressionen einzufühlen.
MARTIN HECKMANNS: Die Person, die man in der Öffentlichkeit zu sein hat, mit der Schreibperson in Einklang zu bringen, ist tatsächlich schwierig. Im Schreiben fühle ich mich wohler. Und sicher weiß ich nicht, ob das Geschriebene meinen Kommentar noch braucht.
intimacy-art: Genau darum geht es in Ihren Werken, aber auch um Echtheit und Wahrheit. So hätte ich zu diesem Interview vielleicht unvorbereitet kommen sollen, um den Lesern diesen Wahrheitszustand einer ersten Begegnung zu vermitteln. Denn mit Konzept dominiert der Leistungsanspruch, die gezielte Verkaufsmöglichkeit dieses Gesprächs und Ihrer Person.
HECKMANNS: Es wäre auf jeden Fall eine unbeschwertere Begegnung gewesen. Jetzt sprechen wir auch mit imaginierten Lesern. Und wissen nie genau, mit wem wir sprechen. Das gilt auch für das Schreiben für die Bühne: Sitze ich dann in der Vorstellung und sehe ich die realen Zuschauer, ist die Anspannung enorm hoch. Wäre diese Anspannung beim Schreiben immer präsent, könnte ich keinen Satz beenden. Die Erwartungen sind unüberschaubar.
intimacy-art: Gesteigert wird das in Ihrem Fall noch dadurch, da Sie absolute Intimität einfordern und treffen. Insofern sollten die Erwartungen des Publikums dem aber wieder entsprechen.
HECKMANNS: Echte Innigkeit erreicht man nur im Zweiergespräch. Wenn die zwei Personen auf der Bühne miteinander ringen, hat man als Autor ausschließlich für jene beiden den Moment der Nähe erzeugt.

Unsicherheit als Lebenslage

intimacy-art: Gleichzeitig muß man sagen, dass sich die Protagonisten in Ihren Stücken immer in einem unsicheren Schwebezustand befinden. Sowohl privat, als auch öffentlich (beruflich). Geht es Ihnen so?
HECKMANNS: Ich schätze dieses Gefühl eigentlich. Unsicherheit hat mit Sensibilität gegenüber der jeweiligen Situation zu tun, die man nicht "beherrscht". Das ist für das Schreiben eine gute Voraussetzung. Indem man versucht, sich zu orientieren, zuvor aber die Unübersichtlichkeit der Situation akzeptiert.
intimacy-art: Hatten Sie schon eigene Sorgen, die Sie so treffend an- und aussprechen?
HECKMANNS: Die Situation von meinem ersten Monolog Finnisch oder Ich möchte dich vielleicht berühren kennt jeder, glaube ich: Dass man nicht weiß, wie eine Kontaktaufnahme mit einem begehrten Menschen glücken soll, wie ein Anfang funktionieren könnte, was man überhaupt von einer Begegnung erwarten darf.
intimacy-art: Obwohl Sie optisch nicht gerade häßlich und unscheinbar sind. Man stellt sich bei solcher Schüchternheit einen ganz anderen Typen vor.
HECKMANNS: In jeder Begegnung liegt eine Gefahr. Wer sich öffnet, kann getroffen werden. Das Risiko muss man eingehen, um berührt zu werden. Die Unsicherheit ist in meinem Fall schwächer geworden, aber noch immer da. Und wie gesagt, ich versuche sie auch zu schützen.
intimacy-art: Als wünschenswertes Lebensgefühl oder weil Sie davon leben, darüber zu schreiben?
HECKMANNS: Es blendet so viele Einzelheiten und Nuancen aus, wenn man weiß, wie "es" geht.
intimacy-art: Hatten Sie auch über längere Zeit existenzielle Sorgen wie das Künstlerpaar in "Das wundervolle Zwischending"?
HECKMANNS: Wenn man sich für das Schreiben entscheidet, hört die Sorge nicht auf, wie lange es zu konservieren ist, sei es die eigene Schreiblust oder dass sich das Geschriebene verkauft, wie Medien darauf reagieren. Das hält neugierig.

Unsicherheit als Muse

intimacy-art: Interessanterweise entspricht Ihr Schreibstil genau dieser aktuellen Haltlosigkeit. Er wird in Form von Zwischentönen der Wortgebilde, in seiner Wirkung als Metasprache, zur eigentlichen Aussage der Stücke. Sie schreiben über emotionale Bilder und weniger über konkrete Handlungen, was das Dichterische an Ihnen ausmacht. Selbst wenn es noch abstraktere Schreiber gibt, steht diese Form für die Sprachlosigkeit in der Liebe und im Wirtschaftsleben schlechthin. Wann fanden Sie sie?
HECKMANNS: Ich habe mir vorher keine Strategien des Stils überlegt. Der erste Monolog Finnisch oder Ich möchte dich vielleicht berühren entstand direkt aus einer Situation der Sprach- und Hilflosigkeit in der Begegnung heraus. Er hatte in bestimmter Weise bei mir auch therapeutische Funktion. Als ich ihn von einem Schauspieler auf der Bühne vorgeführt bekam, hat sich das Problem gelockert. Die Komik ist mir erst bei der Bühnenfigur so deutlich aufgefallen.
intimacy-art: Glauben Sie, dass es diese Sprachlosigkeit früher auch schon gegeben hat, oder dass man sie früher nur nicht an- bzw. ausgesprochen hat?
HECKMANNS: Es geht nicht um Sprachlosigkeit, als vielmehr um das Ringen um den richtigen Ausdruck. Die Figuren reden ja ständig, sie bemühen sich darum und stellen dann den Satz infrage, den sie gerade geäußert haben. Es herrscht eine ständige Reflexionsbewegung. Dadurch kommt man kaum zum richtigen Satz, weil man ihn ständig wieder relativiert. Das halte ich für das eigentlich Interessante. Dass wenig sicher ist im Gespräch, aber trotzdem kommuniziert wird: in Versuchen.

Lesen Sie in Teil 2 schon bald auf dieser Site: Wie aus den Sprech-Versuchen das "Echte" und "Eigene" wird und warum es einem Künstler so schwer fällt, das zu verkaufen.

Und: in den Textauszügen aus Das wundervolle Zwischending und Schieß doch, Kaufhaus! werden Sie sehen, wie aus dem frauenbezogen unerfahrenen "Heckmanns" ein reifer Liebhaber und
Wirtschaftskritiker wird.
(Interview-Auszug vom 20.01.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)