Sunday, August 12, 2007

Kuba Kapsa 1: "Polens Korruption bewirkt als Obsession die Korruptionsbekämpfung"


Kuba Kapsa (photos © Elfi Oberhuber)

Polen gilt derzeit als Szene, wo sich irrsinnig viel tut. Trotz oder gerade wegen der widersprüchlichen Regierung wird hier Kunst inhaltlich, und damit "als gesellschaftlich wichtig" diskutiert. Sie hat für viele junge Leute existenzielle Bedeutung. Gebeutelt durch Kommunismus, Armut und Arbeitslosigkeit (bzw. unterbezahlte Schwarzarbeit, weshalb die Polen meist vier Jobs parallel ausüben), Katholizismus, Kapitalismus, schwanken aufstrebende Jungkünstler zwischen Hingabe zu klassisch-elegantem Stil und grotesker Satire, wobei immer auch filmisches Bewußtsein zu spüren ist. Bestes Beispiel dafür stellt die neuartige Jazz-Rock-Band Contemporary Noise Quintet dar, deren Leader KUBA KAPSA ist. ELFI OBERHUBER traf ihn zum Gespräch.

Kurzprofil KUBA KAPSA (geb. am 12.10.1978 bei Poznan/Polen, Sternbild Waage) steht auf energetischen Jazz mit Elementen aus Filmmusik. So klingt auch seine junge Jazz-Rock-Band Contemporary Noise Quintet, die 2006 ihre erste CD Pig Inside The Gentleman heraus brachte. Der junge Musiker, der die unterschiedlichen Instrumente Gitarre und Piano - beide in mehreren Abwandlungen von Bass über Melodica bis Syntheziser - spielt, ist als autodidaktischer Musiker schon lange im Geschäft. Zuvor war er seit 1994 Leader der Emo-Hardcore Band Something Like Elvis (Titel aus dem David-Lynch-Film Wild at Heart), wo er mit anregend-tiefer Rockstimme zusätzlich sang. In seinen Bands mit dabei ist am Schlagzeug stets sein um ein Jahr älterer Bruder Bartek Kapsa. In der Alternative-Szene tourten sie bereits durch Europa und Amerika. Nachdem CNQ in Polen das Tomasz Stanko Quartet vom Rang 1 verdrängt hat, will die Band nun auch die europäische, asiatische und amerikanische Jazzszene überzeugen. Absolute, akademisch ausgebildete Profis wie Trompeter Wojtek Jahna und Saxophonist Tomek Glazik spielen hier einen gänzlich anderen Stil als in ihrer Zweitband Sing, Sing Penelope. Die treibenden Musikrhythmiker sind jedoch die Kapsa-Brüder selbst. "Eleganz mit Punk-Energie", "Jazz-Musik ohne Jazz", "Filmmusik ohne Film, aber etwas Glänzendes" sind einige der begeisterten Kommentare der Presse. Die Site der Band: www.electriceye.pl

Warum Rock-Jazz momentan so in und wie Contemporary Noise Quintet dabei einzuordnen ist, können Sie auf intimacy: art in WATCHER (TIPPS) unter dem Titel nachlesen: "AUFFÄLLIGE TRENDS NACH BALKAN-, POLEN- & KLEZMER-FESTIVAL: ROCK & EGO-STIL"

Für Hörproben der Titel Sophie, P.I.G., Army Of The Sun und Goodbye Monster click: http://www.myspace.com/cnquintet


Polen als "Entwicklungsstreber" mit und ohne EU

intimacy-art: Die Welt interessiert sich momentan sehr für Polen. Als großes Land mit einer großen kaufwilligen Jugend, an dem die Weltwirtschaft verdienen kann. Sie waren für ein Konzert gerade als eine von mehreren polnischen Gruppen, organisiert vom Polnischen Instititut, in Wien. Haben Sie das Gefühl, dass das politisch motiviert war?
KUBA KAPSA: Sagen wir besser gleich: ich würde einen anderen Weg vorziehen, um nach Österreich kommen zu können. Ich lasse mich nicht gerne politisch benutzen. Das ist nicht meine Welt, sondern die Musik. Ich möchte nur der Kunst als soziale Notwendigkeit dienen.
intimacy-art: Sie gaben das Konzert ungewöhnlicherweise in der roten Bar im Wiener Volkstheater, auf einer zu ihrer Musik ziemlich unpassenden, roten Mini-Guckkastenbühne. Sind das ideale Bedingungen für Sie?
KAPSA: Manchmal sind die Umstände großartig, das Konzert wird dennoch mühsam; manchmal siehst du, die Umstände sind einfach schrecklich, und das Konzert läuft dennoch wie geschmiert. Dass es gestern unbefriedigend verlief, lag am Soundtechniker, der vielleicht gewöhnlich eher fürs Theater als für Bands arbeitet.
intimacy-art: Ihr Piano, das normalerweise im Vordergrund und treibend ist, war zu wenig präsent und dadurch um das Außergewöhnliche Ihrer Musik beraubt. Vielleicht bekommen Sie also das nächste Mal, trotz außenpolitisch organisierten Konzerts, einen geeigneteren Aufführungsort. - Glauben Sie, Ihre Einladung nach Österreich hat mit der Europäischen Union zu tun, wozu Polen seit 2004 gehört?
KAPSA: Wir Polen würden sicher auch ohne EU wichtiger für die Welt werden, wirtschaftlich und sozial. Der EU-Beitritt beschleunigt den Prozeß nur, Markt und Geld auf einen Boden stellen zu können, er bringt daher viele Vorteile. Vor allem der Austausch scheint wichtig und großartig zu verlaufen, sodass mehr Geld für Kunst und andere Fortschrittsbewegungen vorhanden ist. Viele Wege haben sich für uns jetzt geöffnet, um unsere Mentalität zu entwickeln, unser Denken, unser Studium. Ich denke aber weder global, noch national, im Sinne von, "unsere Kultur nur für uns allein konservieren zu wollen oder uns nicht zu assimilieren". Solche Extreme halte ich für schlecht.

Künstlergruppen-Förderung von Polen und EU

intimacy-art: Hilft die EU Künstlern wie Ihnen direkt?
KAPSA: Ja, wir bekommen Geld vom Staat, um unser Studio zu entwickeln.
intimacy-art: Von der EU oder von Polen?
KAPSA: Von der polnischen Regierung, die aber mit der EU verbunden ist. Ein Teil des Geldes ist von der EU, ein Teil von der polnischen Regierung. Wären wir nicht in der EU, bekämen wir sicher nichts.
intimacy-art: Gibt es einen spürbaren Unterschied gegenüber früheren Zeiten?
KAPSA: Als der Kommunismus zuende ging, war ich 13, also ein kleiner Junge. - Was meinen Sie genau?
intimacy-art: Wann spürten Sie als Künstler so etwas wie Aufwind?
KAPSA: Jetzt fühle ich: es geht voran. Und doch ist es noch nicht perfekt.
intimacy-art: Arbeiten Sie in Warschau?
KAPSA: Nein, im Zentrum Polens, hundert Kilometer von Poznan. Ich lebe in einer Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern. Dort ist es sehr ruhig, sodass ich viel Zeit zum Arbeiten habe. Es ist allerdings richtig, dass alle großen Künstler nach Warschau gehen, wo als Hauptstadt das Geld und die Filme gemacht werden. In große, ziemlich starke Städte wie Poznan, Krakau, Gdansk, wird aber auch viel Geld gepumpt, um den Aufschwung zu forcieren.

Kuba Kapsa (Piano, 3.vr) und Bartek Kapsa (Schlagzeug, 2.vr) umgeben von Wojtek Jachna (Trompete, Flügelhorn), Tomek Glazik (Saxophon), Kamil Pater (Gitarre), Patryk Weclawek (Bass)


Widerspruch zwischen Korruptions- und Aufschwungsland


intimacy-art: Nun hört man ja in der Weltpresse immer von Premierminister Jaroslaw Kaczynski bzw. vom skurrilen Zwillingsbruder-Regierungsphänomen, das er mit Präsident Lech Kaczynski darstellt.
KAPSA: Zwillingsshit, Doubleshit, ja.
intimacy-art: Und gerade deshalb ergibt sich für mich ein Widerspruch. Denn jeder sagt, Polen sei das korrupteste Land der EU - was ja schon am abrupten, unbegründeten Abtritt des vorigen Premierministers Marcinkiewicz zu sehen war ...
KAPSA: Der in seiner Funktion aber auch schon die Marionette Kaczynskis war.
intimacy-art: ... paradoxerweise schafft es Polen jedoch mitsamt umstrittener Regierung, immer mehr an Macht und Stärke in Europa zu gewinnen - was ja führungspolitisch gesehen positiv für das Land ist. Und dabei bringt sie auch noch die polnische Kultur nach Europa und Amerika.
KAPSA: Nun, die Korruption bewirkt als Obsession innerhalb sich selbst die Bekämpfung der Korruption. Unser Justizminister Zbigniew Ziobro ist darin nicht schlecht und vergleichbar mit Rudolph Giuliani in New York. Er glaubt - und ist darin auch erfolgreich -, die Korruption eindämmen zu können. Leider beinhaltet eine Ideologie wie seine aber andererseits die unterentwickelte Einstellung gegenüber Homosexualität und Religion. Diese Politiker und Menschen sind diesbezüglich nicht offen fürs Gespräch.
intimacy-art: Weil sie national-konservativ sind.
KAPSA: Sie sind nicht radikal national-konservativ, aber gemäßigt, ja. Die ältere Generation wählte diese Partei. Die jungen Leute lehnen sie ab. Aber einmal ist die Regierung von links, einmal ist sie von rechts. Das ist halt jetzt die rechte Welle.
intimacy-art: Wie es sich auf der ganzen Welt ständig abwechselt.
KAPSA: Richtig.
intimacy-art: Und diese Welle könnte sich schon bald wieder ändern bzw. noch verschärfen: Denn inzwischen - nach zwei Monaten dieses Gesprächs - wurden Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper, nach einem getürkten Korruptionsvorwurf, sowie der eigene Parteifreund, Innenminister Janusz Kaczmarek, von Kaczynski aus dem Amt entlassen; und da - laut "Der Standard" - der national-klerikale Bildungsminister Roman Giertych Jaroslaw Kaczynskis (!) Befehl verweigerte, Witold Gombrowiczs Roman "Ferdydyrke" auf die Gymnasiasten-Pflichtlektüre zu geben, weil Gombrowicz - im Roman nachvollziehbar - homosexuell (!) war, und jene stattdessen durch Papstbiografien und katholische Lektüre ersetzte, wurden offiziell "wegen Dauerkrise der rechtsnationalen Regierungskoalition" - befürwortet durch die Kaczynskis - für 21. Oktober 2007 Neuwahlen angesetzt.



Lesen Sie in Teil 2 demnächst auf dieser Site: Wie Kuba Kapsa vom Rock plötzlich zum Jazz fand, und warum in Polen beide Richtungen von der Jugend gleich begeistert angenommen werden.

(Interview-Auszug vom 01.05.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

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