Wednesday, April 11, 2007

Martin Heckmanns 3: "Sexuelle Steigerung ist mit Schmerz verbunden, dafür aber intensiv"



Der am Wiener Burgtheater mit Das wundervolle Zwischending gespielte Autor MARTIN HECKMANNS schildert im dritten Teil des Gesprächs mit ELFI OBERHUBER den Liebeskampf. Für Einführung und wirtschafts- und sprachkritische Teile 1+2 scroll down.


Martin Heckmanns
(photos © Elfi Oberhuber)







Konzentration auf die Liebe - Chance oder Gefahr?

Drei Textauszüge aus
Martin Heckmanns Stück
Das wundervolle Zwischending
,

worin Johann und Anne nach
sieben Beziehungsjahren
einen Film über ihre Liebe drehen,
um sie wieder zu finden ...


intimacy-art: Warum sich Anne und Johann in "Das wundervolle Zwischending" überhaupt auf ihre Liebe konzentrieren wollen, liegt nun nicht an ihrer Einstellung zu Kunst und Öffentlichkeit, sondern eher daran, weil ihre Beziehung es braucht, um zu halten. In der jetzigen Gesellschaft müssen sich dagegen die Leute fast mehr auf ihr Privatleben besinnen, weil sie keinen oder nur einen halben Job bekommen. - Was ist die Gefahr dabei?
HECKMANNS: Die Konzentration kann auch eine Verlockung sein.
intimacy-art: Eher eine Gefahr, da eine Beziehung ja nur aus Projektionen besteht, und wenn man - wie in Ihrem Stück - den anderen damit konfrontiert, dass man ihn eigentlich anders kennengelernt habe als er jetzt sei, kann das ja nur schlecht ausgehen.
HECKMANNS: Zu erforschen, was man tatsächlich für einander ist, birgt auch die Chance, sich "neu" nah zu kommen. Es war in den verschiedenen Inszenierungen des Stücks immer die Frage, ob die beiden ein glückliches oder ein unglückliches Paar bilden. Dadurch, dass sie versuchen, sich neu zu erfinden, gibt es bei ihnen eine große Kraft. Aber auch eine große Härte im Umgang miteinander. Als kraftvolles Paar bemühen sie sich um einander, ringen um Neuheit und Veränderung, ihre Beziehung erledigt sich also noch nicht in der Routine. Die beiden kämpfen noch.

Gratwanderung zwischen sexueller Steigerung und Perversion


intimacy-art: Anne und Johann bewegen sich dabei sexuell noch in einem relativ normalen Rahmen. Johann sagt sogar: "Ich hasse es, dass ich dich begehre, wenn du dich wie eine Nutte stylst." Diesen Satz fand ich toll, weil die meisten Männer gar nicht zu dem Gedanken, sich dafür zu hassen, gelangen, sie stehen einfach zu...
HECKMANNS: ... dem Begehren. Ja. (lacht)
intimacy-art (lacht): Wenn man aber daran arbeitet, dass das Sexualleben interessant bleibt, muss man fast auch den Schritt ins Perverse wagen. Oder sich irgendwelche neuen Dinge überlegen. Die meisten Menschen tun das auch. Liegt darin nun die Gefahr, dass man irgendwann die Schranke, bis zu der es noch erträglich ist, überschreitet?
HECKMANNS: Also im Stück merkt man, glaube ich, dass es in erster Linie um die Steigerung geht. Auch um den Zweifel, wie weit man diese Steigerung betreiben kann. Über diese Schmerzerfahrung entsteht eine Intensität. Wo man da nun Vorsichtsmaßnahmen einbauen muß, habe ich mir aber noch gar nicht überlegt. Ich habe erst mal nur versucht, ein Paar zu beschreiben, das darum ringt, sich nach sieben Jahren noch einmal neu und intensiv zu erfahren.
intimacy-art: Warum sie das schaffen, liegt am Buffer des Films, den sie über ihre eigene Liebesgeschichte drehen. Das ist ein Respekts-Buffer.
HECKMANNS: Ich denke, das gibt ihnen die Möglichkeit, sich von sich selbst zu distanzieren. Sie können sich verstellen und immer auch sagen: Es ist für unseren Film. Das führt auch für den Betrachter zu der Frage, welche Szene eine gefilmte und welche aus dem echten Leben ist. Dadurch öffnet die Beziehung sich für Spielmöglichkeiten. Sodass man nicht weiß, ob dieses SM-Spiel nun eines ist, das getestet wird, weil man es eventuell als Szene benutzen kann oder ob es einem tiefen Bedürfnis der beiden entspringt. In der Inszenierung in Wien wirkt es ja eher wie Anfänger-SM.

Vom gegenseitigen Geschichten-Erzählen zweier Liebender

intimacy-art: Der Film steht aber nicht nur für die Reflexion zweier Liebender, sondern auch dafür, dass die Menschen Filme in Partnerschaften nachleben. Was man von den Medien aufnimmt, lebt man im eigenen Privatleben nach, wobei man gar nicht weiß, ob man das selbst will. Noch weiter geführt, gilt diese Filmszene auch für die Mode der Talkshow-Mentalität, wo sich Leute im Fernsehen für den Partner und die Außenwelt inszenieren. - Halten Sie das für gesund, oder gibt es gerade da Probleme mit der Echtheit?
HECKMANNS: Gesundheit ist immer ein problematisches Argument. Es läßt sich nicht verhindern, dass man über sich selbst als Inszenierten nachdenkt. Im Grunde war es immer schon in der Literatur durch Leseerfahrung so, dass man sich selbst auch als Erzählung versteht. Und darum geht es im Stück: Wie erzählen wir uns? Sind wir ein Experimentalfilm oder ein Musical? Welche Liebesgeschichte sind wir? Und wie finden wir unser Ende? Da würde ich erst mal nicht an "ungesund" denken, sondern als gegeben akzeptieren, dass man sich in der Liebe immer auch gegenseitig eine Geschichte erzählt und fragt: Welche Figur bin ich in dieser Geschichte?


In Teil 4 demnächst auf dieser Site: Wie sich nicht nur der Gesichtsausdruck Martin Heckmanns ein viertes Mal komplett ändert, sondern auch seine Stimmung im
morbiden Text Das Offene Fenster oder Von der Abwesenheit

(Interview-Auszug vom 20.1.2007, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)

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