Wednesday, September 06, 2006

"Wir waren eine geächtete Familie", Aziza Mustafa Zadeh Teil 1


photo: Aziza Mustafa Zadeh (© Gai Jeger)


Interview von ELFI OBERHUBER mit der Jazz-Pianistin und -Sängerin AZIZA MUSTAFA ZADEH. Als Tochter eines rebellischen Jazz-Pioniers kehrte sie zusammen mit ihrer Mutter ELIZA den Schikanen des Sowjetregimes den Rücken! Hier erzählt sie vom Leid, das es ihr und ihrer Familie
angetan hat.
Ein Gespräch in vier Teilen.

Kurzprofil AZIZA MUSTAFA ZADEH: Jazz-Pianistin und -Sängerin , geb. 1969 (Sternbild Schütze), stammt aus Baku/Aserbaidschan. Ihr Vater, Vagif Mustafa Zadeh, brachte als Komponist und Pianist den Blues nach Aserbaidschan und gilt als Begründer des Azeri-Jazz. Er nannte seine Tochter “Jazziza". Mutter Eliza war klassische Sängerin in Georgien. Nachdem sie Vagif kennen und lieben gelernt hatte, trat sie mit ihm auf und sang Mugam-Jazz. Vagif stirbt mit 39 auf der Bühne, worauf sich Eliza ausschließlich auf die Karriere der Tochter konzentriert. Von Bach, Chopin und den Werken des Vaters, weitet die heute in Deutschland lebende, improvisierende Pianistin, Komponistin und Sängerin Aziza, ihren Klassikeinfluß zu Piazolla und italienischen Opernkomponisten auf ihrem morgenländischen Jazz-Blues-Mugam-Scat-Teppich aus. Viele Preise: u.a.Siegerin im Thelonious-Monk-Klavier-Wettbewerb, Echo-Award für das Album “Always". 7 CDs: “Aziza Mustafa Zadeh", “Always", “Dance of Fire", “Seventh Truth", “Jazziza", “inspirations, colors & reflections", “Shamans". 2006 erschien ihre CD “Contrasts" - Grenzgang zwischen Jazz und Oper - in Anspielung an Maria Callas und Mutter Eliza.


Musikverbot trieb Vater in den Tod

intimacy-art: Als Sie Maria Callas gehört hatten, wollten Sie plötzlich wie Ihre Mutter Oper singen?
AZIZA MUSTAFA ZADEH: Ja, denn Maria Callas zu hören, war eine so starke Eingebung als wäre ich “vergiftet" worden, stärker als je zuvor. Es geschah vom einen Tag auf den anderen: An Callas´ Geburtstag, dem 2. Dezember, vor zwei Jahren. Von diesem Tag an änderte sich mein Leben. Allein darüber zu sprechen, regt mich wieder so auf, dass meine Hände zittern. Da wirkt etwas auf mich, das ich nicht erklären kann.
intimacy-art: Callas ist eine Göttin, auch bei uns.
AZIZA: Ihre spirituelle Kraft ist so stark, als wäre sie im Moment unter uns.
intimacy-art: Würden Sie gerne in der Oper auftreten?
AZIZA: Falls ich physisch noch kräftig genug werde und noch lange lebe, dann ja.
ELIZA: Denn für die Oper braucht man viel Kraft.
AZIZA: Noch dazu, da mir der Jazz immer gleich wichtig sein wird. Denn der Geist meines Vaters lässt mich nicht los und ist ebenfalls immer um mich.
intimacy-art: Es war sicher ein Schock für Sie als Kind, als Ihr Vater starb. Aber da ist nun die lebende, reale Mutter, die als Ihre Managerin mit Ihnen arbeitet.
AZIZA: Ja.
intimacy-art: Insofern verstehe ich den Wechsel zur Oper.
AZIZA: Definitiv.
intimacy-art: Vielleicht brauchten Sie so viel Zeit, um das verarbeiten zu können. Und zwar mittels Ihrer Kunst.
AZIZA: Eliza ist für mich Musikerin und Freundin zugleich. Mit ihr kann ich mich viel stärker fühlen. Und jeder Musiker braucht eine Person, der er vertrauen kann: musikalisch und im Leben. Das ist heute auch so etwas Besonderes, da nicht jedes Kind seiner Mutter vertrauen kann. Denn das Leben hat sich geändert. Westen und Osten sind unterschiedlich, wobei der Westen prinzipiell unabhängiger ist. Doch für Ost und West gilt: Die Generationen ähneln einander nicht mehr, gehen nicht denselben Weg. Nicht wie früher, als die ganze Familie in einem großen Haus lebte. Deshalb bin ich umso glücklicher darüber, dass wir zwei noch immer zusammen arbeiten. Und für meinen Vater hatte Eliza dieselbe Bedeutung. Beim Komponieren schrie er plötzlich auf, als wäre ein großes Desaster passiert: “Eliza!"
ELIZA: "...komm her zu mir, schnell, schnell, sonst verliere ich es wieder!"
AZIZA: Dabei sorgte sie sich besonders um seine Herzprobleme...
intimacy-art: ... er hatte die Herzprobleme also prinzipiell, nicht nur wegen dem Stress?
AZIZA: Er hatte zwei Herzattacken. Die zweite war seine Letzte. Die erste hatte er, als meine Mutter mit mir schwanger war. - Unser Leben war von Schock, Kampf und Schmerz gezeichnet. Das macht dich aber stärker auf gewisse Weise.
ELIZA: Das ist wahr.
intimacy-art: Sie sagten jedoch einmal, dass möglicherweise das Regime der Sowjetunion Ihren Vater in den Tod getrieben hätte.
AZIZA: Ja, er hatte Stress. Und sein größter Stress war es, nicht in den Westen reisen zu dürfen, und dass ein Jazzer für das Regime generell als Bandit galt: mein Vater spielte Jazz und sah nicht sowjetisch, sondern mit dem Haar eines Südafrikaners, dem großen Schnurrbart und den schwarzen Augen, wie ein Südamerikaner aus. Er mochte es auch, sich strahlend anzuziehen: rot und schwarz. Also gab man ihm den Zweitnamen “Americano". So spielte er also im einen Moment Jazz und mußte sich im nächsten die Realität seines Vaterlandes vergegenwärtigen. Allein über diese Problematik zu sprechen, war schrecklich...
ELIZA: Yes, forget it.
AZIZA: “Jazz is the music of black people!", diese schönen schwarzen Menschen, die Seele der Traurigkeit. Blues und Jazz, das ist mit Schmerz verbunden, der meinen Vater ständig umgab - und anzog.
ELIZA: Das harte Leben.
intimacy-art: Und Sie aber, Eliza, sangen Sie Puccini und all die anderen westlichen Klassiker, als Sie jung waren?
ELIZA: Ja, sicher.
intimacy-art: In Rußland?
ELIZA: In Georgien.
intimacy-art: War dem Regime die West-Klassik gefälliger als der Jazz?
ELIZA: Georgien bildete insgesamt eher eine Ausnahme. Die Georgier sind sehr freie Menschen. Ich sang dort Puccini, Verdi, usw., worin ich auch eine klassische Ausbildung hatte. Das war einmal mein Traum, und jetzt warte ich auf Aziza.
AZIZA: Doch für mich sind das “mein Jazz-Puccini", “mein Jazz-Verdi" ...
ELIZA: Denn zwischen Klassik und Jazz gibt es einen großen Zusammenhang.
AZIZA: Ich finde überhaupt, dass Callas´ Stimme zwar eine klassische Stimme ist, sie ragt aber gleichzeitig als Jazz-Stimme absolut heraus. Sie liegt sozusagen dazwischen.
ELIZA: Außerdem: Wer Musik liebt, findet in jedem Musik-Stil die Schönheit. Und wenn du Rap magst, magst du auch Mugam, da Mugam natürlicher Rap ist. Niemand weiß allerdings, was Mugam ist. Und wenn Mugam-Leute rappen, erkennen es vor allem die Amerikaner nie.
intimacy-art: Sie hatten also den Sprechgesang in Persien früher als die Amerikaner?
AZIZA: Wir hatten ihn schon vor vielen tausend Jahren.


Lesen Sie auf dieser Site in Teil 2: Aziza widersetzt sich dem Regime-Druck
(Interview-Auszug vom 26.10.2004, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

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