Thursday, September 07, 2006

"Wir waren eine geächtete Familie", Aziza Mustafa Zadeh Teil 2




AZIZA MUSTAFA ZADEH und ihre Mutter ELIZA im Gespräch mit ELFI OBERHUBER: für Einführung und Teil 1 scroll down!

Aziza widersetzt sich dem Regime

Photo: Aziza Mustafa Zadeh (© Gai Jeger)

intimacy-art: Jetzt müssen wir aber doch noch über Ihre Vater-Beziehung sprechen, da sie so bedeutend für Ihre frühere Zeit war. Wenn Sie an ihn denken, welcher Moment mit ihm gab Ihnen sehr viel? Eine Situation, wo Sie in der Erinnerung einen liebenden Moment in sich spüren?
AZIZA: Das waren die paar Aufführungen, die wir gemeinsam hatten. Ich erinnere mich wie gestern an unser erstes Konzert, wo ich mit drei Jahren mit ihm auftrat, und genauso an unser letztes Jazzfestival in Tiflis, als ich sieben oder acht war und Fieber hatte. - Das waren die süßesten Konzerte unserer gemeinsamen Auftritte. Mein Vater war ganz bescheiden und schüchtern und dachte, jetzt ist er ein Jazzer und mit seiner Tochter auf der Bühne und wußte nicht recht, ob das richtig war. Meine Mutter Eliza aber sagte: “Mach Dich nicht verrückt damit, laß sie einfach auftreten." Doch ich kämpfte auch um meinen Auftritt und sagte: “Ihr seid eifersüchtig, ihr singt und spielt und mich laßt ihr nicht auf die Bühne...!"
ELIZA: Aziza kämpfte jeden Tag darum. Ich muß raus, ich muß... aber Vagif war sehr verhalten darüber.
AZIZA: Da das Sowjetsystem keine Familie auf der Bühne akzeptierte.
ELIZA: Das wurde als "unmöglich" angesehen, als große Schande, als Familie auf der Bühne zu sein. Nur eine Person war erwünscht, nicht zwei.
AZIZA: Oder gar drei.
intimacy-art: Aus welchem Grund?
ELIZA: Hier ging es rein um Unterdrückung. Das brauchte keinen Grund. ­ Ich dachte mir aber: "Wenn ich Künstlerin bin, mein Mann Künstler ist, und sich unsere Tochter als Künstlerin entwickelt, warum nicht?" - Ich verstehe das bis heute nicht.
intimacy-art: Vielleicht durfte eine Familie als Einheit nicht so große Macht erlangen?
AZIZA: Ach, ich denke, das war einfach eine Art von begrenzter Sicht dieser kommunistischen Bürokratie. Es war unwichtig, was zwischen Familie und Kunst für Zusammenhänge bestanden.
intimacy-art: Normalerweise ist es ja logisch, dass Kunst für Mitglieder einer Künstlerfamilie naheliegend, und umso besser wird.
ELIZA: Sie wollten, glaube ich, einfach nicht, dass ein Beruf von mehr als einem in einer Familie ausgeführt wird. Das mochten sie nicht.
intimacy-art: Diese Zeit ist aber, glaube ich, vorbei.
AZIZA: Hoffentlich.
ELIZA: Gott sei Dank.
intimacy-art: Ist es aber nicht auch eine Form von Druck, diese ganze Situation? Einerseits haben Sie den Stil Ihres Vaters, dann dieser Schock, als er starb, sodass Sie den Zwang hatten, seine Kunst fortsetzen zu wollen ...
AZIZA: Als mein Vater starb, begann ich allerdings nicht gleich, Jazz zu spielen, sondern erst viel später. Nach drei bis vier Jahren, auch wieder ab einem bestimmten Moment. Es war März ...
intimacy-art: Hatten Sie wieder eine Inspiration, oder was? Hörten Sie einen bekannten Jazz-Musiker?
AZIZA: Nein, das war nach einem schlechten Konzert, wo meine Mutter unbedingt gewollt hatte, dass ich auftrete. Ich fühlte mich dabei aber nicht wohl und nicht bereit dafür. Das Publikum war zwar zufrieden, ich aber nicht.
intimacy-art: Spielten Sie ein klassisches Stück?
AZIZA: Nein, ich mußte Vaters Stück spielen, mein Stück, und noch etwas... doch ich war dabei sehr unmotiviert. Und ich warf meiner Mutter vor: “Warum zwingst du mich zu spielen?" Ich war sehr, sehr unglücklich...
ELIZA: Weil jeder anrief und drängte: “es ist unmöglich, dieses Konzert abzusagen!", “bitte versuche es", denn es war noch immer dieses Sowjet-System, und die Sowjets sind so stolz, “unser kleines Genie!", ...
AZIZA: Schrecklich.
ELIZA: ... “ein großes Regierungskonzert", ... “es ist nicht leicht, da überhaupt eingeladen zu werden! Und Du bist Mitglied dieses Regierungskonzerts!"... “große, große Namen werden da sein, Du mußt präsentieren, repräsentieren!"... Sie riefen mich andauernd an und bedrängten uns, “bitte kleine Aziza!"... doch Aziza sagte: “Nein, ich gehe nicht! Ich mag dieses Konzert nicht!"
intimacy-art: Wie alt waren Sie da?
AZIZA: Ich glaube 13 oder 14.
intimacy-art: Schrecklich.
AZIZA: Zuvor war es also noch so gewesen, dass ich mich nicht bereit für Jazz gefühlt hatte. Doch mit diesem Tag war es dann so weit. Mit Jazz-Singen begann ich schon viel früher, das war komisch. Beim Jazz-Spielen wollte nur meine linke Hand damit beginnen. Nur wie bei einem Bass-Spieler. Wahrscheinlich hörte ich dabei meinen Vater sagen: “Du hast nicht genug Kraft, dich zu trauen, am Piano zu improvisieren." Denn ich wußte schon als ganz kleines Kind, dass er da unglaubliche, fantastische Sachen am Klavier kreierte. An meinen Vater heranzukommen, war für mich unmöglich. Einmal rief er mich zu sich und sagte:“Setz dich jetzt her und spiel!" Und ich sagte: “Ja, jetzt werde ich beginnen." Ich hörte in mir alles, sah diese weißen, schwarzen, schönen Tasten und dachte, “ja, warte, ich werde spielen". Ich rieb meine Hände an den Schenkeln... und einmal war er wirklich böse mit mir... er sagte: “Spiel, jetzt!" Er schrie. Und ich wimmerte: “Nein, ich kann nicht!" Und er meinte: “Raus mit Dir!" Nach fünf Minuten kam er wieder, gab mir ein Bussi und sagte, “meine kleine Tochter..." In unserer Familie vergißt man nach zwei Minuten, dass man geschrien hat... Aber daran erinnere ich mich gut... und dann starb er. Und einige Jahre später begann ich zu spielen. Mit 15 tatsächlich zu improvisieren.
ELIZA: Manchmal ist es auch gut, Aziza zu provozieren. Vielleicht war es diese große Provokation, dass Du dieses Konzert nicht mögen mußtest.
AZIZA: Ja, da haßte ich sogar meinen Stil. Was etwas Schreckliches für einen Künstler ist. Du kannst dir das dann selbst nicht verzeihen.
ELIZA: Du denkst, du könntest besser sein, aber es geht jetzt und so nicht, unter diesen Bedingungen, an diesem Ort.
AZIZA: Das ist ein Terror.

Lesen Sie in Teil 3 demnächst auf dieser Site: Schamanismus als psychotherpeutischer Halt
(Interview-Auszug vom 26.10.2004, volle Länge in Print(Deutsch+Englisch)/Audio(Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

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