Saturday, October 28, 2006

"Burgenland-Kroate und Türke-Kurde haben eines gemeinsam...", Willi Resetarits und Sivan Perwer, Teil 1

photo: Willi Resetarits und Sivan Perwer (© Lukas Beck)

Burgenland-Kroate WILLI RESETARITS und türkischer Kurde SIVAN PERWER sprechen mit ELFI OBERHUBER über die Notwendigkeit des ureigenen kulturellen Bewußtseins jedes Einzelnen. Warum das Bedürfnis nach Identität entsteht, wieviel es zum Selbstbewußtsein beitragen kann und wie man dennoch zusammen leben bzw. musizieren kann.

Kurzprofile WILLI RESETARITS & SIVAN PERWER Willi Resetarits (geb. am 21.12.1948 in Stinatz, Burgenland = Schütze) ist Star der Popmusik im Wiener Dialekt und bezeichnet sich in letzter Zeit als Burgenland-Kroate. Sivan Perwer (geb. 23.12.1955 in Sori im türkisch administrierten Gebiet Kurdistans = Steinbock) ist Star der kurdisch-klassischen Volksmusik und Botschafter des alten und neuen Kurdistans, nachdem er in seiner Heimat Türkei mehrmals verhaftet worden ist, weil er in seiner Muttersprache "Kurdisch" gesungen hat; seit 1976 lebt er im Exil in Deutschland. Auf Initiative von Ali Gedik - ebenfalls türkischer Kurde und in Vorarlberg aufgewachsen - sind sie nun mit dem Euphrat-Donau Orchester von 17.-26.11.06 auf Österreich-Tour, um mit zwei Musikrichtungen, die wie die Faust aufs Auge zusammen passen, eine wundersame Symbiose einzugehen. Behutsam herantastend schaffen sie das, ohne ihre jeweilige Identität abzulegen. Ganz so, wie sie sich generell das menschliche Miteinander eigenständiger Kulturen vorstellen. Dieses Konzert - mit neuen kurdischen, kroatischen und H.C.-Artmann-Liedern - soll alles bereits Gewesene noch übertreffen.
Am 17.11. spielen sie im AK-Saal in Graz, am 18.11. im Posthof in Linz, am 23.11. im Volkstheater in Wien, am 25.11.im Bregenzer Festspielhaus, und am 26.11. im Kongresshaus, Innsbruck.



Zum Unterschied von Identität in Österreich und Türkei


intimacy-art: Sie signalisieren mit Ihrem gemeinsamen Musizieren ein friedvolles Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen. Wie sehr sind Sie denn Ihrer eigenen Kultur verhaftet?
WILLI RESETARITS: Man ist ihr ein Leben lang verhaftet, weil man seine Herkunft nicht ändern kann. Die Frage ist, wie stark man sich damit auseinander setzt. Das tu ich lieber, je älter ich werde. Komischerweise.
intimacy-art: Sie haben sie eine Zeitlang sogar boykottiert, indem Sie als Teenager lieber Rock spielten.
RESETARITS: Da meine Generation als Kind in Wien, schon seitens Eltern eher zur Assimilation gedrängt wurde. Jetzt kehre ich wieder zurück zu meinen Wurzeln und sage, "ich bin Kroate". Selbst wenn ich sprachlich viel vergessen habe, und es jetzt wieder auffrischen sollte. Sich zum burgenländisch Kroatischen zu bekennen, ist in Österreich allerdings im Unterschied zum Kurden in der Türkei ungefährlich.
intimacy-art: Das ist sicher schon publik, aber ich weiß gar nicht, was Ihre Eltern eigentlich gemacht haben?
RESETARITS: Meine Eltern sind nach Wien aus dem Süd-Burgenland gezogen, damit wir Kinder an der Schulbildung teilnehmen können.
intimacy-art: Aber wann sind Sie aus Kroatien gekommen?
RESETARITS: Nie. Meine Vorfahren sind...
intimacy-art: ... Österreicher...
RESETARITS: ... vor 500 Jahren in das damalige West-Ungarn eingewandert, was seit 1921 das Burgenland ist.
intimacy-art: Sie sind also 100 Prozent Österreicher.
RESETARITS: Oder auch nicht: meine älteren Tanten, Onkel und Großeltern haben noch ungarisch in der Volksschule gelernt, und nur durch eine Verrückung der Grenze sind alle West-Ungarn Österreicher geworden. Wir waren aber schon in West-Ungarn als Ungarn-Kroaten die Minderheit.
intimacy-art: Inwiefern unterscheidet sich nun Ihr Kampf, Sivan Perwer, um die kurdische Identität?

Die doppelmoralische "Demokratie" Türkei ist noch immer ein "Gefängnis"

SIVAN PERWER: Wir sind kein freies Volk. Dieser permanente Konflikt in den Kurden macht sie unzufrieden. So wie sich Willi als Assimilierter unwohl fühlt, wegen des Nicht-respektiert-Werdens, des Verlusts seiner Herkunft, seiner Vergangenheit, des verminderten Selbstwertgefühls. Deshalb versuche ich, die Situation zu analysieren und die Wahrheit zu finden und mich dafür einzusetzen. Tut man sich aber in der Türkei mit seiner Meinung hervor, kommt man ins Gefängnis, unter Folter zum Verhör oder wird schlimmstenfalls getötet.
intimacy-art: Ist das jetzt nicht gelockert worden?
PERWER: Es ist noch immer schlimm. Sie sagen: "Du kannst Dein Lied singen", aber Kritiker kommen keine, da der Markt für Kurden verboten ist, sodass du damit auch nicht deinen Lebensunterhalt bestreiten kannst. Du kannst in kurdischer Sprache singen, aber nur klassische und Liebeslieder; keine Lieder für Kurden, über Kurdistan oder die Freiheit. Türkei ist eine Demokratie, aber niemand darf die Türkei kritisieren. Dasselbe gilt für den Iran. Die islamische Republik "hat alles", "weshalb" man sie nicht kritisieren darf.
intimacy-art: Sind Sie der Prototyp eines Kurden?
RESETARITS: Darf ich mich einmischen? Der Sivan ist insofern Prototyp eines Kurden, als dass er nicht in seiner Heimat leben kann, sondern seit 28 Jahren im Exil existieren muß...
PERWER (trippelt auf den Tisch)
RESETARITS: ... und da ist er nicht der Einzige. D.h., man lebt als Kurde auch sehr häufig in einer anderen Kultur. Sivan ist schwedischer Staatsbürger und lebt in Deutschland. Also lebt er schon kurdisch, aber nicht ganz.
PERWER (trippelt jetzt sehr ungeduldig auf den Tisch)
intimacy-art: Nicht trippeln, ich hab das übers Mikro ganz laut im Ohr....
PERWER (hört auf zu trippeln und sagt umso bestimmter): Im Denken bin ich ganz kurdisch. Von außen sind Kurden immer angepaßt und eingewandert, aber in den Gedanken sind sie kurdisch.
Ali Gedik (mischt sich ein): Ich höre immer wieder, von so vielen Kurden: Ich habe mein kurdisches Bewußtsein, erst durch Sivan Perwers Lieder erfahren. So wie kürzlich wieder ein kurdisch-türkischer Dichter, bei einem Konzert in Zürich vor 1500 Leuten, sodass dieser dann auch etwas für sein kurdisches Volk machen wollte. Durch Sivan erfahren viele erst ihre kurdischen Wurzeln.
intimacy-art: Was wahrscheinlich den politisch Andersgesinnten der störende Dorn im Auge sein wird. - Aber woher kommt der extreme Wunsch, an diesen Wurzeln, an dieser Seite in einem, festhalten zu wollen? Ich könnte ja auch sagen: ich bin Vorarlbergerin mit Südtiroler Vater in Wien und muß überall mein Südtiroler-Vorarlbergertum proklamieren.
RESETARITS: Das entsteht logischerweise durch das Verbot. Wenn es noch dazu keinen kurdischen Staat gibt, bedarf es eines größeren Aufwandes, kurdische Identität zu behalten. Da wird man automatisch nationalistisch. Sodass wir vielleicht als Österreicher, die alle Freiheiten haben, sagen, "na, sind die vielleicht net zu nationalistisch?" Uns sind ja sogar gewisse Fußballkommentatoren zu nationalistisch.
intimacy-art: Bei den Juden ist es ja lange genauso gewesen: bis sie Israel bekamen.
RESETARITS: Auch da war es so, ja.

Lesen Sie in Teil 2 des Gesprächs demnächst auf dieser Site: Wieviele Kurden es auf der Welt gibt und ihr Verhältnis zu EU, USA, Palästinensern.
(Interview-Auszug vom 20.9.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)

No comments: