Saturday, January 06, 2007

"Der homosexuelle Lord Byron war naheliegenderweise einer der ersten Vampir-Literaten." Neville Tranter 3



Puppenspieler NEVILLE TRANTER im dritten Teil des Gesprächs mit ELFI OBERHUBER. Für Einführung (Teile 1, 2) scroll down.

Foto: Neville Tranter (© Elfi Oberhuber)



Der Koitus - die für das ganze Leben stehende kleine Welt zwischen Schwäche und Stärke


intimacy-art: Ich sehe diesen Moment, wo der starke Olav sein schwaches Opfer beißt, als Parallele zum sexuellen Eindringen: Fühlt sich ein Mann, ­ wie in dem Moment die ausgelieferte Frau, ­ jemals schwach?
TRANTER: Hmm...
intimacy-art: Dieses Gefühl kann sich gleich danach ändern, aber in dem Moment... Muß das so sein, bei Mann und Frau? ­ Abgesehen von Homosexuellen, wo das wahrscheinlich genauso abläuft - von der Natur her muß der Schwäche-Stärke-Kontrast in der Evolution wohl so angelegt sein.
TRANTER: (lange Pause...), ... ich muß gerade an die Zeit von Auschwitz denken, als die Leute in den Barracken ganz schwach waren. Über den Sex jener Gefangenen wurde kaum geschrieben. Aber ich glaube, dass er ganz heftig war.
intimacy-art: Ach so?
TRANTER: Für das Gefühl des Überlebens.
intimacy-art: Die Opfer untereinander? Um sich Kraft zu geben?
TRANTER: Ja, gerade in dieser extremen Leben- und Todsituation. Ich glaube echt an dieses Gefühl von Überleben oder Sterben. Im Vergleich dazu versteht man das Grundthema "Väter" des Stückes umso besser, wo es darum geht, Verantwortung für die nächste Generation zu übernehmen. In der Durchlässigkeit, indem alles weiter- und durchgeht, darf der Einzelne nicht nur ans eigene Überleben denken, sondern muß innerhalb des Überlebens auch Verantwortung für die Menschheit tragen. Um diese Kraft geht es.
intimacy-art: Wahrscheinlich ist das beim Vampir-Phänomen der Hauptgedanke, denn die Erotik wurde auch in der Literatur erst spät eingeschmuggelt. Im Mittelalter, ­ der Zeit der TBC-Schwindsüchtigen sowie der Pest-Epidemien, als den Pesttoten im Grab unerklärlicherweise Nägel wuchsen, ­ waren die Vampire asexuelle Halbtote. Ihr Fledermaus-Aussehen bekamen sie, weil jene beim Beißen Krankheiten verschleppen. Während der Hochblüte des Dandytums, mit der Schönheit der Aristokratie, der Blässe, der Homosexualität, kam dann die versteckte, ­ da verbotene, ­ Erotik hinzu. Doch schon der homosexuelle Dichter Lord Byron, einer der ersten Vampir-Literaten, hatte zum Liebhaber einen Arzt ...

Vampirismus - seine "Homosexuellen-Ästhetik" kommt nicht von ungefähr

TRANTER: Im Stück ist der Satz, kurz bevor Olav Inger beißt, von Byron: "Ich atme, aber nicht den Atem menschlichen Lebens." - Das alles kann ich gut verstehen, denn ich bin mit einem Mann verheiratet - in den Niederlanden ist das ja schon erlaubt. Er ist Krankenpfleger einer Krebsabteilung...
intimacy-art: Da schwingt der Tod in Ihrem echten Leben also tatsächlich ständig mit.
TRANTER: Wie bei meinen Puppen. Eine Puppe kann auf der Bühne echt sterben, was ein Schauspieler nie kann. Den Tod zu behandeln, bedeutet aber überhaupt "Theater".
intimacy-art: Ihnen starb bei den Proben auch Ihre geliebte Hündin Daisy, und "Vampyre" endet mit dem Hund Odin.
TRANTER: Ich wollte dem Publikum am Schluß zeigen, nach wem Torvald die ganze Zeit her war, als er rief: "Odin, Odin, Odin!" Inger redet auch immer von "Odin". Kierkegaard ruft: "Odin!" ... Über dieses Bild vom Hund im Wald, den Hunden, die auf den Bäumen hängen - also den Vampiren -, und Olavs Sager, "ein Hund kommt immer an den Ort zurück, den er am meisten liebte", bildet der Hund den Kreis zur unendlichen Menschheit.
intimacy-art: Der Hund ist aber auch gebissen worden, oder? Er wird also zum echten "Vampir-Hund".
TRANTER: Ja, und geht mit Gabriel weg. Odin ist Teil der Götterwelt geworden ...

(Interview-Auszug vom 2.5.2006, voll Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)

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